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Unsere Vorlesung versucht, einem verführerisch vielfältigen und unendlich verwirrenden Thema näher und auf die Schliche zu kommen: der Liebe. Und zugleich einer Tätigkeit und kulturellen Praxis, die Literatur erst zum Leben erweckt: dem Lesen. Was haben Leben und Liebe mit dem Lesen, mit dem Akt der Lektüre zu tun? Es geht beim Lesen immer um die Sehnsucht nach einer Ganzheit von Leben und Liebe, um die Herstellung jener Totalität, die uns Menschen im realen Leben grundlegend entzogen ist. Allein die Literatur erlaubt es uns, über die Totalität eines Lebens mit seinen Anfängen und seinen Enden zu verfügen. Und genau dies gilt auch und gerade für die Liebe und deren Geschichten und Vorgeschichten. Von der Liebe und dem Abendland (Denis de Rougemont) bis zu den Fragmenten einer Sprache der Liebe (Roland Barthes), den Schreibformen des Marquis de Sade, von Giacomo Casanova oder Italo Calvino über die Liebes- und Lesekristallisationen Prousts bis hin zur Liebe in den Zeiten der Cholera (Gabriel García Márquez), von der Liebe zwischen zwei Dichtern und der Transzendenz ihres Begehrens (Juana Borrero) zu den Liebesgeschichten zwischen den Sprachen und Kulturen (Assia Djebar), hin zu den Theorien der Liebesgeschichten nach der Liebe (Michel Houellebecq), von Tristan und Isolde über Don Juan sowie Romeo und Julia bis zu Sab, Emma Bovary und den Versatzstücken aktueller Massenkommunikation zwischen Lese- und Liebesrevolution soll das Verhältnis von Liebe, Leben und Lesen, von Literatur und Leidenschaft leidenschaftslos analysiert werden. |