Analyse und Prognose von Straßenzustandsdaten mit Hilfe von probabilistischen Methoden und der Strukturgleichungsmodellierung

Autor: Blumenfeld, Tim Jonas
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2020
Druh dokumentu: Doctoral Thesis
DOI: 10.25534/tuprints-00013279
Popis: Eine leistungsfähige und sichere Verkehrsinfrastruktur ist die Grundvoraussetzung für gesellschaftlichen Fortschritt. Sie ermöglicht Wirtschaftswachstum, Beschäftigung und Wohlstand und stellt damit das Rückgrat einer modernen Gesellschaft dar. Planung, Bau, Betrieb und Erhaltung von Straßenverkehrswegen erfordern einen bedeutenden Einsatz sowohl an wirtschaftlichen als auch an personellen Ressourcen. Der Bundesverkehrswegeplan 2030 sieht ein Gesamtinvestitionsvolumen von etwa 270 Mrd. Euro vor. Ein Finanzvolumen von ca. 133 Mrd. Euro ist für Bauprojekte von Bundesfernstraßen vorgesehen, wovon wiederum etwa 70 Mrd. Euro für die Erhaltung dieser Straßenbauwerke angesetzt sind [BMVI 2016]. Für eine zielgerichtete und nach objektiven Kriterien ermittelte Verteilung der Finanzmittel kommt in Deutschland ein Pavement Management System (PMS) zum Einsatz, das auf Basis des aktuellen Zustands des Netzes und dessen zukünftiger Entwicklung den Erhaltungsbedarf der Bundesfernstraßen abschätzt. Dazu werden moderne Methoden sowie ein fundiertes Fachwissen benötigt. Abschätzungen zum zeitlichen Zustandsverlauf von Fahrbahnbefestigungen stellen innerhalb des PMS einen wesentlichen Baustein dar, um anhand dessen den abschnittsbezogenen Erhaltungsbedarf abzuschätzen. Dabei werden einzelne Auswerteabschnitte zunächst zu längeren homogenen Abschnitten zusammengefasst. Anschließend wird auf Basis des zuletzt erfassten und normierten Zustandes sowie der Liegezeit eine abschnittsbezogene Verhaltensfunktion ermittelt. Die Ergebnisse dieser bisher deterministisch durchgeführten Berechnungen stellen die Grundlage für den darauffolgenden Entscheidungsprozess dar. Die dabei naturgemäß vorzufindenden Unsicherheiten innerhalb dieses Planungs- und Entscheidungsprozesses sind auf verschiedene Ursachen, wie z. B. die Datenerfassung, die Datenpflege, das diverse Materialverhalten sowie die verkehrlichen und klimatischen Randbedingungen, zurückzuführen. Damit zukünftig eine risikobasierte Entscheidungsfindung erfolgen kann, bedarf es jedoch geeigneter Methoden, die anhand von Szenarien mögliche Ereignisse und deren zugehörige Eintrittswahrscheinlichkeiten quantifizieren können. Das Ziel der vorliegenden Arbeit ist daher die Entwicklung und Validierung eines probabilistischen Prognosemodells, welches sowohl die Unsicherheiten bei der Zustandserfassung als auch bei der Abschätzung der Zustandsentwicklung berücksichtigt. Anhand einer Gegenüberstellung der ermittelten Prognoseergebnisse mit den Ergebnissen der bisher verwendeten deterministischen Verfahren soll die Anwendbarkeit des entwickelten Modells beurteilt werden. Die entwickelte Methode soll einen zukünftigen risikobasierten Entscheidungsprozess innerhalb des systematischen Erhaltungsmanagements ermöglichen. Als Datengrundlage werden Daten der ZEB-Dauermessstrecke in Hessen verwendet. In Ergänzung zu der alle vier Jahre durchgeführten Zustandserfassung und -bewertung (ZEB) erfolgt auf einem ca. 76 km langen Teilabschnitt der BAB A5 seit einigen Jahren eine halbjährliche Erfassung und Bewertung des Zustandes auf allen Fahrstreifen je Richtungsfahrbahn. Neben den Zustandsdaten werden zusätzlich Daten zur Verkehrsbelastung, zum Aufbau und zu den klimatischen Bedingungen erhoben sowie sämtliche Maßnahmen der betrieblichen und baulichen Erhaltung detailliert dokumentiert. Das Kernelement der entwickelten Methode basiert auf dem Ansatz der Bayes’schen Statistik. Der aufgezeigte Modellansatz (Kalman-Filter) differenziert zwischen dem wahren Zustand einer Fahrbahnoberfläche, dem gemessenen, mit Unsicherheit behafteten Zustand in Form von Beobachtungen im Rahmen der ZEB sowie einem mit Hilfe eines Modells geschätzten Systemzustands zu jeweils diskretenZeitpunkten. Durch die Kombination aus einem a priori festgelegten Systemverhalten und dem kontinuierlichen Abgleich zwischen erwarteten und gemessenen Zuständen wird auf den wahren Zustandsverlauf eines Auswerteabschnittes zurückgeschlossen. Die Methode bietet die Möglichkeit einer probabilistischen Analyse und Prognose des Straßenzustands, um die große Variation von möglichen Zustandsentwicklungen treffend abzubilden. Die entwickelte Methode wird exemplarisch am Beispiel des Zustandsmerkmals Ebenheit im Querprofil für Fahrbahnen in Asphaltbauweise angewendet. Da die Zustandsentwicklung einer Fahrbahnoberfläche einer Vielzahl an Einflussgrößen unterliegt, sind hierbei erhebliche Streuungen zu beobachten, die eine treffende Zustandsprognose erschweren. Um die Unsicherheiten in der Prognose zu reduzieren, werden zusätzliche Informationen in das Modell integriert. Dazu werden zunächst potentielle Einflussfaktoren identifiziert und die daraus entwickelten Hypothesen einer statistischen Prüfung unterzogen. Dies erfolgt mit Hilfe eines Wachstumskurvenmodells, welches um den Prädiktor Verkehrsbelastung erweitert wird. Abschließend werden die Ergebnisse des in dieser Arbeit entwickelten probabilistischen Prognosemodells mit den Ergebnissen der bisher verwendeten deterministischen Prognoseverfahren gegenübergestellt. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen zeigen, dass durch die Aufbereitung der Zustandsdaten mit Hilfe eines Kalman-Filters eine verbesserte Abschätzung der Zustandsverteilung nach einer Liegezeit von 20 Jahren erfolgen kann. Im Vergleich zu den nicht aufbereiteten Zustandsdaten kann die Abweichung zwischen wahrem und prognostiziertem Mittelwert von 1,0 mm (SD = 1,2 mm) auf 0,1 mm (SD = 1,5 mm) verringert werden. Neben einer verbesserten Prognose ermöglicht eine Aufbereitung der Daten eine deutliche Vergrößerung der für die probabilistische Beschreibung von Zustandsänderungen verwendeten Datengrundlage. Nach der Datenaufbereitung weisen nur noch etwa 5 % aller Auswerteabschnitte eine Zustandsverbesserung auf, wohingegen bei nicht aufbereiteten Daten ca. 50 % der Datengrundlage aufgrund von gemessenen Zustandsverbesserungen verworfen werden müsste. Durch die vergrößerte Datengrundlage können die Übergangsverteilungen innerhalb der Matrix wesentlich besser modelliert werden. Anhand einer weiteren Differenzierung der Zustandsänderungen nach der Verkehrsbelastung können die Zustandsverteilungen sowie die über alle Auswerteabschnitte zusammengesetzte Zustandsverteilung mit hoher Genauigkeit vorhergesagt werden. Die Zustandsverteilung der mittleren Spurrinnentiefe auf dem Hauptfahrstreifen nach einer Liegezeit von 20 Jahren weist eine ausgeprägte Streuung auf wohingegen auf dem ersten und zweiten Überholfahrstreifen eine deutlich geringere Zustandsvariation zu beobachten ist. Die Abweichung des Mittelwertes über alle Auswerteabschnitte zwischen wahrer und prognostizierter Zustandsverteilung beträgt hierbei 0,0 mm. Die zugehörige Standardabweichung der prognostizierten Zustände (SD = 2,6 mm) sowie die Standardabweichung der wahren Zustandsverteilung (SD = 3,2 mm) zeigen jedoch auch, dass eine nicht mit Hilfe des entwickelten Modells erklärbare Reststreuung vorhanden ist. Der Vergleich zwischen den deterministischen und dem probabilistischen Verfahren zeigt auf, dass das entwickelte Modell vergleichbare Prognoseergebnisse zu dem in den RPE-Stra 01 enthaltenen Verfahren der Koeffizientenanpassung liefert. Bei dem derzeit für Rechenläufe innerhalb des PMS verwendeten Curve-Shifting-Verfahren waren mit den Daten der ZEB-Dauermessstrecke die größten Abweichungen zwischen wahren und prognostizierten Zuständen zu beobachten. Die vorliegende Arbeit liefert wichtige Erkenntnisse für die Zustandsprognose innerhalb des systematischen Erhaltungsmanagements von Straßen. Das probabilistische Modell ermöglicht eine Berücksichtigung der vorhandenen Unsicherheiten bei der Abschätzung der Restnutzungsdauer sowie bei der Planung von Erhaltungsmaßnahmen. Der Vergleich verschiedener Erhaltungsstrategien auf der Basis von Wahrscheinlichkeitsverteilungen bietet die Grundlage für eine risikobasierte Entscheidungsfindung. Dies stellt den wesentlichen Vorteil im Gegensatz zu den bisher verwendeten deterministischen Prognoseverfahren dar. Die große Variabilität in der Zustandsentwicklung der mittleren Spurrinnentiefe auf dem Hauptfahrstreifen deutet daraufhin, dass wichtige Einflussfaktoren auf das zeitliche Verhalten einer Fahrbahnbefestigung derzeit nicht netzweit erfasst werden. Dazu zählen insbesondere Informationen zur strukturellen Substanz der Fahrbahnbefestigungen, die zum aktuellen Zeitpunkt (noch) nicht netzweit vorliegen. Dieser Ansatz wird in Zukunft fokussiert werden, da nur durch eine Berücksichtigung der strukturellen Substanz die Ursachen von Fahrbahnoberflächenschäden tiefergehend analysiert werden können. Eine Grundvoraussetzung hierfür ist die systematische Dokumentation und Pflege aller hiermit verbundenen Daten. Mit Hilfe dieser sehr wichtigen zusätzlichen Informationen kann die Zustandsprognose schließlich verfeinert werden.
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