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»Vom »Erzvater« Abraham hören Kinder bereits im ersten Schuljahr spannende Geschichten. Im Religionsunterricht beider Konfessionen ist die Figur präsent. Mit Abraham fängt die Geschichte Israels an. Diese Geschichte ist die von Gott gestiftete Gegenbewegung zur Ausbreitung der Sünde, wie sie in der Urgeschichte (Gen 3–11) in ihren kosmischen Ausmaßen dargestellt wird. So ist es nur natürlich, wenn Abraham im Judentum wie im christlichen Glauben eine prominente Rolle spielt. Und mehr noch: Auch der Islam bezieht sich in signifikanter Weise auf Abraham. Es liegt nahe, im gemeinsamen Ursprung von Judentum, Christentum und Islam einen Ansatz zum produktiven Gespräch zu suchen – als Ergänzung oder auch als Korrektiv zum scheinbar selbstverständlichen, aber doch sogleich hoch problematischen Bezug auf den einen Gott, dessen Einheit sogleich verschieden interpretiert wird. So kommt es zu der inzwischen viel verbreiteten und scheinbar selbstverständlichen Rede von den »abrahamischen« oder sogar »abrahamitischen Religionen«. Es kann allerdings bezweifelt werden, ob die Integration der »monotheistischen Religionen« auf diesem Wege überzeugend durchzuführen ist. Die Figur des Abraham gibt nämlich eher Anlass zur Auseinandersetzung – und dieser Konflikt könnte einen interreligiösen Dialog vielleicht weiter führen als der vorschnelle Rückgriff auf einen fiktiven Ursprung. Die Auseinandersetzung betrifft schon die innerbiblische Sicht. Im Judentum zeichnet sich, wie Michael Tilly zeigt, Abraham als Projektionsfläche ab: Die Texte über Abraham verraten mehr über die Menschen, die sie geschrieben und gelesen haben, als über die geschichtliche Gestalt. Die ältesten unter ihnen sind frühestens in der frühen Königszeit fixiert worden, also am Ende einer viele Jahrhunderte überspannenden Überlieferung. Abraham wird als literarische Figur zur Identifikationsgestalt, nicht als historische Person. Das zeigt sich gerade im Exil, wo Abrahams unmittelbares Gottesverhältnis als Gegenbild zum Kult hervortritt, der in der Zerstörung des Tempels sein Ende gefunden hat. In der außerbiblischen jüdischen Literatur wird einerseits Abrahams vorbildliche Glaubenstreue, sogar sein Gehorsam gegenüber dem Gesetz (das Mose ja erst später empfängt) herausgestellt, andererseits eröffnet gerade seine reine Gotteserkenntnis Perspektiven für einen Dialog zwischen Judentum und Hellenismus.... (Aus dem Vorwort von Ernstpeter Maurer) |