Wie ideal ist zu ideal? Serene Khaders Decolonizing Universalism und die Kritik an einem idealisierenden Feminismus

Autor: Tamara Jugov
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2022
Předmět:
Zdroj: Zeitschrift für Praktische Philosophie, Vol 9, Iss 1 (2022)
Druh dokumentu: article
ISSN: 2409-9961
DOI: 10.22613/zfpp/9.1.15
Popis: Der vorliegende Beitrag liest Serene Khaders Buch „Decolonizing Universalism“ und ihren darin entwickelten feministischen nicht-idealen Universalismus als wichtigen Beitrag zur Debatte um nicht-ideale politische Philosophie. Khaders Ansatz hat einen nicht-idealen Charakter, weil er zwar die universelle Überwindung sexistischer Praktiken fordert, dies aber auf eine kontextsensitive, nichtidealisierende Art und Weise tut. Eine zu ideale Art und Weise der Theoriebildung attestiert Khader einem „liberal-missionarischen“ Feminismus. Diesem wirft sie einen Gerechtigkeitsmonismus, ungerechtfertigte Idealisierungen sowie übertriebenen Moralismus vor. Der vorliegende Beitrag befindet, dass die Verknüpfung von Khaders Kritik an einem missionarischen Feminismus mit allgemeineren Bedenken gegenüber idealer und idealisierender Gerechtigkeitstheorie ein origineller und gelungener Aspekt von „Decolonizing Universalism“ ist. Besonders überzeugend ist dabei Khaders Kritik an unzulässigen Idealisierungen. Ein missionarischer Feminismus etwa blende die globalen und imperialen Ursachen für sexistische Unterdrückung häufig aus und konzentriere sich stattdessen auf lokale Formen der sexistischen Unterdrückung. Der vorliegende Beitrag stellt aber auch zwei Einwände gegen Khaders Ansatz vor. Erstens bleibt unklar, welche philosophischen Positionen Khader unter dem „missionarischen Feminismus“ genau zusammenfasst. Hier scheinen eher populäre Positionen aus dem politischen und öffentlichen Leben und weniger ausgearbeitete philosophische Argumente Zielscheibe von Khaders Kritik zu sein. Mögliche Einwände liberal-feministischer Positionen gegen diesen Vorwurf – etwa der Verweis auf den anti-kulturalistischen und institutionalistischen Fokus einer Rawlsschen Position oder auf bestehende Versuche einen kontextsensitiven Universalismus zu formulieren – werden nicht berücksichtigt. Der zweite Einwand bezieht sich auf die methodologische Struktur von Khaders eigenem Vorschlag. Khader fasst sexistische Unterdrückung als gruppenbezogene Untererfüllung basaler Menschenrechte auf. Doch nicht alle normativen Dimensionen sexistischer Beherrschung lassen sich so fassen, Sexistische Formen der Missachtung, Entwürdigung oder Statusverletzung sind nicht immer auf die Dimension der gruppenbasierten Menschenrechtsverletzung reduzierbar. Wie ist beispielsweise der Fall zu bewerten, wenn die basalen Menschenrechte von Frauen in einer Gesellschaft als erfüllt angesehen werden müssen – aber nur dann, wenn Frauen Männer heiraten, die für ihren Schutz und ihr Wohlbefinden sorgen? Gegen Khaders Theoriearchitektonik scheint ein fundamentales Recht auf sexistische Nicht-Beherrschung kein Menschenrecht unter vielen zu sein, sondern eine Art Meta-Recht darzustellen. Dieses Problem macht auch die schwierige Frage der Abwägung zwischen nicht-idealen sozialen Arrangements noch schwieriger, u. a. weil Menschenrechtsverletzungen bei Khader an dieser Stelle zwei verschiedene Rollen spielen, erstens als prima facie normatives Übel, zweitens in ihrer Funktion zur Identifizierung sexistischer Unterdrückung.
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