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Particularly in the later stages of his career, Glenn Gould hoped to create large-scale structural coherence in multi-movement works through his choice of tempi. In a scripted conversation with music critic Tim Page, Gould described the “rhythmic reference point” in his 1981 recording of Bach’s “Goldberg Variations.” Gould’s process in the recording studio did not involve comparison of discrete sections of music; Gould listened to or played along with the end of the previous variation to set the tempo of the following variation. Empirical analysis of Gould’s 1981 recording shows how the processual logic of Gould’s execution contrasts with the architectural emphasis of the theoretical literature on proportional tempo. In this recording, proportional tempo relationships depend on large-scale slowing across entire movements. Despite being common in Gould’s recordings, these tempo shapes have not previously been described in the scholarly or popular literature; I argue that listeners do not perceive them as tempo per se, but as structure. This heard sense of structure is created in an area underdetermined by Bach’s notation and is based almost entirely on Gould’s decisions as a performer. Vor allem in späteren Phasen seiner Karriere wählte Glenn Gould in mehrsätzigen Werken Tempi, durch die strukturelle Kohärenz auf großformaler Ebene geschaffen werden sollte. In einem Gespräch mit dem Musikkritiker Tim Page beschrieb Gould den »rhythmic reference point« in seiner Aufnahme von Bachs ›Goldberg-Variationen‹ von 1981: Goulds Arbeit im Aufnahmestudio beinhaltete keinen Vergleich einzelner musikalischer Abschnitte; er hörte sich das Ende der vorherigen Variation an oder spielte dazu, um das Tempo der folgenden Variation zu bestimmen. Eine empirische Analyse von Goulds Aufnahme von 1981 zeigt, wie die prozessuale Logik seiner Interpretation im Gegensatz zu architektonischen Überlegungen zu Tempoproportionalität steht, wie sie in der musiktheoretischen Literatur häufig begegnen. In dieser Aufnahme äußert sich dies im großformalen Verlangsamungen über ganze Sätze hinweg. Obwohl sie in Goulds Aufnahmen üblich sind, wurden diese Tempoformungen in der wissenschaftlichen oder populären Literatur bisher nicht beschrieben. Ich argumentiere, dass Hörer*innen sie nicht als Tempo per se wahrnehmen, sondern als Struktur. Dieses gehörte Strukturgefühl erschließt sich dabei nicht aus Bachs Notation, sondern basiert fast ausschließlich auf Goulds interpretatorischen Entscheidungen. |