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Mit dem „Bebauungsplan der Umgebungen Berlins“ wurde 1862 eine Grundlage geschaffen, auf der die innere Stadt bis heute aufbaut. Als Produkt der kapitalistisch-liberalen Wirtschaftsordnung im 19. Jahrhundert steht der Plan am Beginn einer Debatte über Planung als öffentliche Aufgabe. Der umgangssprachlich „Hobrechtplan“ genannte Stadterweiterungsplan entwickelte sich bereits kurz nach seiner Veröffentlichung zur Projektionsfläche für Debatten um die Disziplin des Städtebaus, aber auch um die Auswirkungen von Planung, wie der Bodenspekulation – eine Rolle, die ihm noch bis ins 20. Jahrhundert zugeschrieben wurde. Bei den internationalen Vertretern der städtebaulichen Moderne verkörperte der „Hobrechtplan“ das negative Beispiel einer sozial blinden Anpassungsplanung, dessen räumliche Verwirklichung es zu beseitigen galt. Seit der Infragestellung des Planungsleitbildes der Moderne ist die Kritik an James Hobrecht relativiert und der Plan selbst idealisierend mit den gründerzeitlichen Quartieren gleichgesetzt worden. Dementsprechend ist der Bebauungsplan eine wiederkehrende Referenz in der Erforschung nicht nur der Berliner Stadtentwicklung, sondern auch der Geschichte der europäischen Planungsparadigmen und städtebaulichen Leitbilder. Dabei ist der Plan unterschiedlichen Deutungen unterlegen, in welchen sich Entwurf, Umsetzung und Transformation in verschiedener Weise vermischen. In internationalen wie nationalen planungstheoretischen Diskursen spielt die Zeit vor den „Pionieren“ der Städtebaudisziplin wie Reinhard Baumeister (1876), Camillo Sitte (1889) oder Joseph Stübben (1890) und der „Systematisierung des Wissens von der Stadt“ nach Lampugnanis Zusammenstellung der Städtebau-Manuale bisher kaum eine Rolle. Gerade zu städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien vor 1870 existieren in Deutschland kaum Forschungsarbeiten. Dabei waren die Erweiterungspläne die ersten Wissensbestände, auf welche die in der Gründung befindliche Disziplin des Städtebaus zurückgreifen konnte. Die Institutionalisierung des Städtebaus war eine Folge der industriellen Revolution mit rasantem Bevölkerungs- und unreguliertem Stadtwachstum. Vor dem Hintergrund, dass die ab 1870 erschienenen städtebaulichen Handbücher – beispielsweise Stübbens „Der Städtebau“ – auf Stadtstrukturen sowie Typologien des öffentlichen Raums der großen Masterpläne und Fallbeispiele der europäischen Stadterweiterungen zurückgreifen, erscheint es von großer Bedeutung die Ideengeschichte und Entwurfslogik des Berliner Bebauungsplans von 1862 zu beleuchten. An diesem Punkt setzt die kumulative Dissertation an: Die Aufsätze mit städtebaulichem Fokus haben das Ziel, die Ideengeschichte des Plan(gebiet)s sowie die Veränderungen der gebauten Umwelt zu beleuchten. Durch den Fokus auf das Berliner Beispiel werden Prinzipien der Entstehung und des Wandels städtischer Strukturen des 19. Jahrhunderts sowie Entwurfsprinzipien der Berliner Städtebau-Experten aufgezeigt. Damit werden Beiträge zu alternativen Lesarten des Hobrechtschen Berlins, der preußischen Stadterweiterungsplanung des ausgehenden 19. Jahrhunderts und zur lokalen Disziplingeschichte der Stadtplanung und des Städtebaus geleistet. Auf diese Weise soll auch eine Grundlage zur vergleichenden Perspektive auf die Ursprünge der städtebaulichen Planung in Europa geleistet werden. Die Arbeit ermöglicht eine tiefgreifende und kritische Betrachtung der Städtebau- und Planungsgeschichte Berlins zwischen dem beginnenden 19. Jahrhundert bis zu den fundamentalen Veränderungen in der Mitte des Jahrhunderts. Ein rasantes Bevölkerungswachstum, angefeuert von der entfesselten Industrialisierung, drängt die preußischen Baumeister und Entscheidungsträger zur Regulierung der Bautätigkeiten. Insbesondere an diesem Wendepunkt der Stadtentwicklung vereint der Bebauungsplan von 1862 die Ideen und Instrumente des Berliner Städtebaus und steht deshalb im Mittelpunkt der Analysen. Bisherige planungshistorische Untersuchungen deuten an, dass der Plan als strategisches, flexibles und damit anpassungsfähiges Instrument angelegt wurde. In Ergänzung dazu wird aus städtebaulicher Sicht die These verfolgt, dass der Plan der Logik nach als Wachstumsgerüst entwickelt wurde. Die erkenntnisleitenden Forschungsfragen der vorliegenden Aufsätze sind deshalb: • Welche städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien werden für die Erstellung des Berliner Bebauungsplans von 1862 angewendet oder entwickelt? • Wie lassen sich diese Entwurfs- und Planungsprinzipien aus dem zeitgenössischen Kontext erklären? Im Ergebnis der Arbeit stehen grundlegende Aussagen zu den städtebaulichen Entwurfs- und Planungsprinzipien der Berliner Stadterweiterung von 1862, die auf eine Übertragbarkeit vergleichbarer Stadterweiterungen hindeuten. Darüber hinaus stellt der Plan einen besonderen Wert für die Planungsdisziplin dar, da mittels der morphologischen Untersuchungen – erstmals der Basis von Geoinformationssystemen – Entwurfskennwerte und damit verbundene Entwurfsprinzipien vor der eigentlichen Definition des Städtebaus um 1870 herausgearbeitet werden können. Ideengenese, räumliche Entwicklung und Planaussagen werden als Untersuchungsgegenstand vereint betrachtet, um der Mehrdimensionalität des Untersuchungsgegenstandes gerecht zu werden. Diese Vielschichtigkeit spiegelt sich konsequenterweise auch in der Forschungsmethode wieder: durch die Verknüpfung städtebaulich-morphologischer Analysen mit Archivalien- sowie Literaturrecherchen, aber auch dem Abgleich mit gesellschaftlichen Entwicklungslinien und politisch-administrativen Strukturen, werden lokale Erkenntnisse zur Berliner Stadtstruktur gewonnen und Hobrechts Beitrag zum Städtebau neu bewertet. The “land-use plan for the environs of Berlin” created in 1862 represents a cornerstone on which the inner city is built even to this day. A product of the capitalist-liberal economic system during the 19th century, the plan was considered a task to be carried out in the public interest at the onset of a debate about planning. Shortly after its publication, the urban expansion plan, commonly referred to as the “Hobrecht Plan”, was transformed into a forum for debates on the discipline of urban development as well as on the effects of planning, such as land speculation, which was ascribed to the plan until well into the 20th century. International representatives of urban modernism felt that the “Hobrecht Plan” embodied the negative image of socially blind adaptation planning, the spatial realization of which should be prevented at all costs. Ever since the modernistic planning concept was first challenged, criticism directed towards James Hobrecht has been called into question and the plan itself equated to the 19th-century neighborhoods of an idealistic era. Accordingly, the land-use plan serves as a recurring reference in the research regarding not only Berlin’s urban development but also the history of European planning paradigms and urban planning models in general. However, the plan is subject to various interpretations, in which the terms design, implementation and transformation blend together in different ways. In both international and national planning theory discourses, the time before the “pioneers” of the urban planning discipline, such as Reinhard Baumeister (1876), Camillo Sitte (1889) and Joseph Stübben (1890), and the “systematization of urban knowledge” based on Lampugnanis collection of urban design manuals, has been of virtually no relevance. There is hardly any research available on the urban design and planning principles in Germany before 1870. The expansion plans were the first knowledge bases that could be accessed when establishing the discipline of urban development. The institutionalization of urban development was a consequence of the industrial revolution with rapid population growth and unregulated urban expansion. The fact that the urban planning manuals published after 1870 – e.g., Stübben’s “Der Städtebau” (City Building) – accessed urban structures such as typologies of public space from the large master plans and case examples of European urban expansions would seem to shed some important light on the significance of the history of ideas and design logic behind the 1862 Berlin land-use plan. This sets the starting point for the cumulative dissertation: The papers with a focus on urban planning strive to examine the history of ideas behind the plan (planning area) in addition to any modifications to the constructed environment. Concentrating on the Berlin example illustrates the principles regarding the emergence and transition of 19th-century urban structures as well as the design principles employed by urban development experts in Berlin. This in turn contributes to alternative interpretations of Hobrecht’s Berlin, Prussian urban expansion planning at the end of the 19th century, and to the local history of the disciplines of urban planning and urban development. This should also serve as a basis for the comparative perspective concerning the origins of urban planning in Europe. This work will allow for an in-depth and critical analysis of Berlin’s urban planning and design history between the start of the 19th century up until the fundamental changes that took place towards the middle of the century. Rapid population growth, spurred on by the spread of industrialization, forced Prussian builders and decision-makers to regulate building activities. At this turning point in the city’s development in particular, the land-use plan from 1862 united the ideas and tools of Berlin’s urban development, thus taking center stage in relevant analyses. Previous investigations on the history of planning suggest that the plan was created as a strategic, flexible and therefore adaptable tool. Consequently, from an urban development point of view, it is logical to postulate that the plan was designed as a framework for growth. As such, the leading research questions in the present papers include: • Which urban design and planning principles were applied or developed for the purpose of creating the Berlin land-use plan from 1862? • How can these design and planning principles be explained within a contemporary context? The results of this project contain fundamental statements regarding the urban design and planning principles used in Berlin’s urban expansion from 1862, which point to the possibility of transferring comparable cases of urban expansion. Furthermore, the plan represents a valuable resource for the planning discipline as the morphological examinations – initially based on geographic information systems – can be used to map out design parameters and the associated design principles before the concept of urban development was actually defined around 1870. The origin of ideas, spatial development and planning statements are regarded in conjunction as the object of investigation in order to satisfy the multidimensionality of the investigation. This multidimensional nature is therefore also reflected in the research methodology: by linking urban-development-related, morphological analyses with archive and literature research, as well as with the comparison to social lines of development and political-administrative structures, it is possible to acquire local insights into the Berlin urban structure and reassess Hobrecht’s contribution to urban development. |