Zeichnungen indigener Künstler Brasiliens. Ästhetik, Komposition, Repräsentation und Funktion, in Beispielen von den Deni, Kanamari und Maxakali

Autor: Hainsch, Sebastian, Münzel, Mark (Prof. Dr.)
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2013
Předmět:
Popis: Currently drawings are made by indigenous artists inside Brazil in large numbers in various contexts. The thesis should show how the artists assimilate this - for them relatively new - medium in their own distinct style and thus express the previously unexpressed. Through drawings of the Deni, Kanamari and Maxakali aesthetic principles and compositional ideas are worked out and the assimilation of the artistic medium is analysed on three levels. Firstly, on a diachronic level in which an art history of the drawings of indigenous artists can be recognised. Secondly, the drawings will be analysed and interpreted as an expression of a political statement and a statement on the cultural world view. Here the drawing is considered as an image act, their postulating character is highlighted. The flora, fauna and the so-called "inanimate nature" can produce image acts and encourage people’s creativity. This leads to the third level of analysis: drawings are analysed in regard to the creative process and the aesthetic pleasure of the artist. The three levels of analysis are examined and illustrated within a discussion of various research positions of mainly Brazilian and German ethnologist in the first part of the thesis. Furthermore, the history of the indigenous drawing is connected to the history of the indigenous literature of Brazil, as it often occurs in the same context. A detailed subchapter is therefore dedicated to the latter. The indigenous literature in Brazil is mainly based on the oral tradition of telling stories and traditional myths. Complex image-text relations can be observed, resulting from the fact that the drawings are often not (only) relating to the recorded versions of the myths, but also on (to the viewer / reader) inaccessible versions and fragments of the myths. As a result, the complexity of the mythology and the inconsistency of individual version are uncovered. The theoretical positions in the anthropology of art and the history of indigenous drawing / literature are followed by the history of contact, artistic production, ritual life and world view of the three tribes in the second part. These insights provide a basis for the understanding of the drawings. In addition to this approach (based on ethnographic information) the third part presents a detailed formal image analysis, which shall enable approaching the special characters and peculiarities of the individual artist and the elaboration of similarities.. In the third part both drawings taken from books as well as drawings created during workshops held in the villages of Deni, Maxakali and Kanamari are examined. Observing the work process of the latter group of drawings gives insights into the communication of the artists among themselves and illustrates the dynamics of these processes. The image´s analysis reveals different principles and ways of working. For example the partial or complete copying of images mostly taken from books of indigenous literature. The term "copy" proves to be misleading. In the most works a new arrangement of the original drawings´ image elements and the modification of the original artistic technique become visible. This process is a cultural anthropophagic act likewise to the assimilation of the medium of drawing by indigenous artists. This essential characteristic is presented in the application of artistic techniques. Many of those creating drawings are eager to learn new artistic techniques and some of them overcome the set limits and combine different techniques. Besides this other characteristics of the drawings are apparent. For example, the simultaneous representation, mainly in drawings accompanying stories and myths, often has to combine multiple temporally distant narrative sequences. Simultaneous representations can obey the narrative logic of the myths or a drawings´ immanent formal compositional logic. In the simultaneous representations also image elements without counterparts in myths´ texts may appear. These image elements sometimes develop an independent existence, illustrating the aesthetic pleasure of the artist and bring out the distinctness of the drawing with respect to the narrative. Furthermore, the use of image frames, emphasizing the artificiality and two-dimensionality of the drawing, often giving them a decorative, almost jewellery-like character is noticeable. The latter may cause a strong tension between the mimetic character and the artwork character. A final digression deals with possibilities of exhibition practices of indigenous art considerate of a balance between art referential and contextual perspectives. The thesis was supported by the Gerda Henkel Foundation with a PhD scholarship.
Aktuell werden Zeichnungen von indigenen Künstler*innen Brasiliens in großer Zahl in den verschie­densten Kontexten angefertigt. Die Arbeit soll darlegen, dass sich die Künstler*innen das für sie relativ neue Medium in ei­ner ganz eigenen Art einverleiben und damit bisher Unausgesprochenes aus­drücken. Anhand von Zeich­nungen der Völker Deni, Kanamari und Maxakali werden ästhetische Prinzipien und kom­positorische Ideen herausgearbeitet und die Anverwandlung des künstlerischen Mediums auf drei Ebenen untersucht. Erstens auf einer dia­chronen Ebene, innerhalb derer eine Art Kunstge­schich­te der Zeichnungen indigener Kunstschaffender erkennbar wird. Zweitens werden die Zeich­nungen als Ausdruck einer politischen Äußerung und als Aussa­ge zum kul­turellen Weltbild analy­siert und interpretiert. Hier wird die Zeichnung als Bildakt betrachtet, ihr postulierender Charakter herausgestellt. Auch Flora, Fauna und die sogenannte „unbelebte Natur“ können Bildakte hervorbringen und Menschen zum künstlerischen Gestalten anregen. Dies führt zur dritten Betrachtungsebene: Zeichnungen werden hinsichtlich des kreativen Pro­zesses und des ästhetischen Vergnügens der Künstler*innen beleuchtet. Die drei Betrachtungsebenen werden im Rahmen einer Er­örterung verschiedener Forschungspositionen hauptsächlich brasilianischer und deut­scher Ethnolo­g*innen im ersten Teil der Arbeit vorgestellt und veranschaulicht. Weiterhin wird im ersten Teil die Geschichte der indigenen Zeichnung in Bezug zur Geschichte der indige­nen Lite­ratur Brasiliens gesetzt, weil sie oft gemeinsam mit ihr auf­tritt. Letzterer ist deshalb ein ausführliches Unterkapitel gewidmet. Die indige­ne Literatur in Brasi­lien basiert vor allem auf mündlicher Überlieferung traditio­neller Mythen und Erzählung­en. Zu beobachten sind dabei komplexe Bild-Text-Beziehungen, die daraus resultieren, dass sich die Zeichnungen häufig nicht (nur) auf die aufgezeichneten Mythenvarianten beziehen, sondern auch auf (dem Betrachter/Leser) unzugängliche Mythenvarianten und-Fragmente. Oft werden Dadurch die Komplexität des Mythenkosmos und die Wi­dersprüchlichkeit einzelner Mythen­varianten aufgedeckt. Auf theoretische Positionen der Kunstanthropologie und auf die Geschichte der in­digenen Zeichnung/Literatur folgen im zweiten Teil Erläuterungen zu Kontaktgeschichte, künstlerischer Produktion, rituellem Leben und Kosmovision der drei Völ­ker. Diese Einblicke schaffen eine Basis für das Verständnis der Zeich­nungen. Neben dieser auf ethnografischen Informationen fußenden Herangehensweise sollen im dritten Teil der Ar­beit detaillierte formale Bildanaly­sen eine Annäherung an die Besonderhei­ten und Eigenarten der einzelnen Künst­ler*innen sowie das Herausarbeiten von Gemeinsa­mem ermöglichen. Im dritten Teil werden sowohl aus Büchern entnommene Zeichnungen als auch in Workshops in den Dörfern der Deni, Maxakali und Kanamari entstandene Arbeiten untersucht. Die Beobachtung der Arbeitsabläufe der zweiten Werkgruppe erlaubt Einblicke in die Kommunikation der Künstler*innen untereinander und verdeutlicht die Dynamik der Entstehungsprozesse. Die Bildanalysen offenbaren verschiedene Prinzipien und Arbeitsweisen. So z.B. das teilweise oder vollständige Kopieren, meistens aus Büchern der indige­nen Literatur. Der Begriff „Kopieren“ erweist sich schnell als irreführend. Meist erfolgt ein Neuarrange­ment der Bildelemen­te der Ausgangszeichnung sowie ein Abwandeln der ursprüngli­chen künstlerischen Tech­nik. Wie auch bei der Anver­wandlung des Mediums der Zeichnung durch indige­ne Künstler*innen handelt es sich um einen kulturellen anthropopha­gischen Akt. Auch in der Anwen­dung der künstle­rischen Tech­nik zeigt sich dieses Wesensmerkmal. Viele Zeichner*innen sind begierig, neue künstlerische Techni­ken zu erler­nen und einige von Ihnen überwinden dabei die Grenzen des Vorgegebenen und kom­binieren ver­schiedene Arbeitsweisen miteinander. Daneben fallen andere Charakteristika der Zeich­nungen auf. So muss z.B. die Simultandarstellung v.a. in Zeichnungen, die Erzählungen und My­then zur Sei­te gestellt werden, oft mehrere zeitlich entfernte Erzählsequenzen unterbringen. Simultandarstel­lungen können der Erzähllogik der Mythe oder einer zeichnungsimmanenten formal-kompositori­schen Logik gehorchen. In den Simul­tandarstellungen können auch Bildele­mente ohne Ge­genstück im Mythen­text auftauchen. Diese Bildelemen­te entfalten manchmal ein regelrechtes Eigenleben, welches das ästheti­sche Ver­gnügen des Künstlers veran­schaulicht und die Eigenständigkeit der Zeichnung gegen­über der Er­zählung hervorhebt. Weiterhin fällt der Gebrauch von Bildrahmen auf, die Artifizialität und Zweidimensionalität der Zeichnun­gen betonen und ihnen häufig einen dekorativen, geradezu schmuckhaften Charak­ter ver­leihen. Letzterer kann eine große Spannung zwischen dem Abbildcha­rakter und dem Kunstwerkcharakter hervorrufen. Ein abschließender Exkurs geht auf Möglichkeiten der Ausstellungspraxis indigener Kunst ein und ist dabei auf einen Ausgleich zwischen kunstreferentiellen und kontextbezogenen Perspektiven bedacht. Die Dissertation wurde von der Gerda-Henkel-Stiftung mit einem Promotionsstipendium gefördert.
Databáze: OpenAIRE