Gewalterfahrungen von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen

Autor: Rossa-Roccor, Verena
Přispěvatelé: Steinert, Tilman, Jäger, Markus
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2018
Předmět:
Popis: Gewaltverbrechen gehören zu den führenden Todesursachen weltweit und Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen stellen einerseits eine besonders vulnerable Population dar, andererseits spielen Gewalterfahrungen in der Entstehung von psychischen Erkrankungen eine entscheidende Rolle. Ziel dieser Studie war die Erhebung von Daten zur Viktimisierung von psychisch Kranken innerhalb und außerhalb psychiatrischer Einrichtungen sowie zu Auswirkungen dieser Ereignisse auf emotionale Belastung und Therapiebereitschaft der Patienten. Darüber hinaus sollten mögliche Zusammenhänge zwischen erlebten Gewaltereignissen außerhalb und einer erhöhten Prävalenz und vermehrter emotionaler Belastung von Gewaltereignissen innerhalb der psychiatrischen Einrichtungen dargestellt werden. Die Daten der 170 Teilnehmenden dieser Studie (85 Frauen und 85 Männer) wurden in verschiedenen Einrichtungen des psychiatrischen Versorgungssystems in neun Baden-Württembergischen Landkreisen und einem Stadtkreis erhoben. Die Teilnehmenden dieser Studie berichten von hohen Lebenszeitprävalenzen von Gewalterfahrungen. Gegenüber Zahlen der Allgemeinbevölkerung fanden wir ein 3- bis 5-fach erhöhtes Risiko für Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen, Opfer von Gewalt zu werden. Die emotionalen Folgebelastungen nach diesen Ereignissen waren hoch, vor allem bei den weiblichen Teilnehmenden. Durch Analyse in einem multivariaten Modell stellten wir fest, dass die Teilnehmenden unter den Gewaltereignissen im Privatleben mehr litten als unter jenen in psychiatrischen Einrichtungen. Zwangsmaßnahmen wurden von den Teilnehmenden tendenziell als wenig hilfreich, wenig erforderlich und wenig notwendig eingeschätzt. Häufige stationäre Aufenthalte, lange Erkrankungsdauer und weibliches Geschlecht (letzteres spezifisch für sexuelle Gewalt) zeigten sich als stärkste Prädiktoren für Gewaltereignisse innerhalb psychiatrischer Einrichtungen. Weitere einzelne Ereignisse wie Eigentumsdelikte im Privatleben schienen vermehrt mit bestimmten Ereignissen innerhalb der Einrichtungen (in diesem Fall Verweigerung von wichtigen Grundbedürfnissen) einherzugehen. In einem letzten Modell untersuchten wir, ob vorausgegangene Gewaltereignisse im Privatleben dazu führten, dass die Teilnehmenden bei Ereignissen innerhalb der Einrichtungen als belastender empfunden wurden, was für diejenigen Teilnehmenden zutraf, welche Opfer von sexueller Gewalt im Privatleben geworden waren. Limitation der vorliegenden Studie sind einerseits eine relativ kleine Stichprobenzahl von n=170, das explorative Studiendesign ohne Kontrollgruppe und die Verwendung eines nicht-standardisierten, nicht-validierten Fragebogens welcher eigens für diese Studie entwickelt wurde. Weiterhin stellen die starke Subjektivität der durch Selbstauskunft erhobenen Daten sowie ein potentieller Stichprobenbias hinsichtlich der Repräsentation von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen Schwachpunkte dieser Studie dar. Diese Studie spricht dafür, dass Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen oft Opfer von Gewalt werden und diese Erfahrungen das weitere Leben und den weiteren Krankheitsverlauf nachhaltig prägen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, eine flächendeckendere Ausbildung für Behandler im Umgang mit traumatisierten Patienten zu gewährleisten. Weiterhin besteht der klare Bedarf an rechtlichen Grundlagen und Evidenz-basierten Leitlinien für den Einsatz von Zwangsmaßnahmen mit dem Ziel der Vermeidung von (Re-)traumatisierungen. Im Sinne der öffentlichen Einstellung gegenüber unserer Patienten wäre eine Aufklärung über die hohen Viktimisierungsraten bei psychisch kranken Menschen, welche oft vorrangig als Täter wahrgenommen werden, äußerst wünschenswert.
Databáze: OpenAIRE