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Enzyme werden heutzutage als flexible und hochdynamische Makromoleküle und nicht mehr als statische Strukturen betrachtet. Daher ist das klassische Schlüssel-Schloss-Modell, das 1894 von Emil Fischer postuliert wurde, mittlerweile überholt. In neueren Betrachtungen wird die Flexibilität und auch die von Liganden induzierte Dynamik der Enzyme zusätzlich berücksichtigt. Es wurde gezeigt, dass gezielte Veränderungen der flexiblen Elemente von Enzymen die dominanten Konformationen des Proteins beeinflussen, was mitunter für eine effizientere Katalyse von Vorteil sein kann. Jedoch ist der Einfluss von gezielten Veränderungen durch Mutationen der dynamischen Bereiche, besonders von Enzymtunneln, aufgrund der geringen Konservierung von Aminosäuren meist schwierig vorherzusagen und rationale Ansätze aus diesem Grund bisher eine Seltenheit. Zur Vereinfachung wird daher immer noch oftmals mit den statischen Kristallstrukturen von Proteinen für das (semi-)rationale Enzym Engineering gearbeitet. Hinzu kommt, dass viele Enzyme ihr katalytisches Zentrum nicht nahe der Oberfläche ungeschützt präsentieren, sondern tief in der Proteinstruktur verbergen, um unspezifische katalytische Reaktionen auszuschließen und das aktive Zentrum zu schützen. In diesem Fall wird das „Schlüsselloch“ dem alten Modell hinzugefügt, das den Zugang des „Schlüssels“ zum „Schloss“ reguliert. Frühere (semi-)rationale Engineering Ansätze fokussierten sich hauptsächlich auf die aktive Tasche oder deren beeinflussende Aminosäuren in einer bestimmten Nähe zum katalytischen Zentrum oder des kristallisierten Liganden. Immer mehr an Interesse gewinnt innerhalb der Biokatalyse jedoch die Erforschung und Veränderung von weiter entfernten hochflexiblen Strukturelementen wie Loopregionen und molekulare Tunnel anstelle des aktiven Zentrums. Aktuelle Forschungen an Oberflächenloops zeigen, dass diese flexiblen Loopregionen zum Teil den Eingang wichtiger Substrattunnel bestimmen. Daher wurde im Zuge dieser Dissertation das Potenzial des Tunnel Engineerings am Beispiel der P450 Monooxygenase CYP153AM.aq aus dem Organismus Marinobacter aquaeolei VT8 untersucht. Das Prinzip des Tunnel Engineerings zur Verbesserung oder Umsetzung neuer enzymatischer Funktionen ist anerkannt, wird aber experimentell noch sehr wenig genutzt, obwohl prognostische Simulationen und retrospektive Aufklärungen existieren. Zu Beginn dieser Arbeit wurde das CYP153AM.aq System im Hinblick auf die in der Kristallstruktur vorhandenen Tunnel untersucht und eine erweiterte Analyse mit dem in silico Werkzeug CAVER durchgeführt. Dabei wurden drei Enzymtunnel identifiziert: Zwei putative Substrattunnel 2c und 2e und ein Solvent Tunnel S. In einer anfänglichen Mutagenesestudie wurden die Tunnel separat durch einzelne Substitutionen der strukturbildenden Aminosäuren hinsichtlich der Umsetzung verschiedener Substrate untersucht. Basierend auf den vorherigen Studien des Enzyms wurden diese Varianten auf die Spezifität hinsichtlich Fettsäuren mit unterschiedlichen Kettenlängen (C8, C12 und C16) evaluiert. Da für diese Arbeit unter Anderem kürzerkettige Moleküle (C8) von Interesse waren, wurden aus der Klasse der Alkane n-Octan und zusätzlich das Alken trans-2-Octen getestet. Die Ergebnisse demonstrieren, dass Mutationen in den Tunneln 2c und 2e die Umsetzung und die Spezifität hinsichtlich verschiedener Substrate beeinflussen. Drei Positionen stachen dabei besonders hervor: M228 zeigte je nach Mutation Einfluss auf den Substratumsatz in Abhängigkeit von der Kettenlänge der Substrate, Q129 und V141 beeinflussten vor allem die Umsetzung kürzerkettiger Substrate. Werden diese Aminosäurereste in der Kristallstruktur betrachtet, fällt auf, dass sie ein Dreieck um den Tunnel 2c bilden und teilweise den Tunnel 2e begrenzen. Für die nachfolgende Mutagenesestudie an den oben genannten Aminosäuren wurde die Octansäure als Zielsubstrat gewählt. Besagte Reste wurden mittels Sättigungsmutagenese verändert und eine Variantenbibliothek erstellt. Um Varianten mit verändertem Produktspektrum zu identifizieren, wurde ein P450-Ganzzell-Screening auf Basis der indirekten Produktdetektion mittels Wasserstoffperoxid / HRP-vermittelter Oxidation des Farbstoffs ABTS angepasst. Mit drei unterschiedlichen semi-rationalen Mutagenese Ansätzen, die auf Struktur-Sequenz-Alignments der 3DM-Datenbank und Kristallstrukturen von CYP153AM.aq und dem homologen CYP153AP.sp basieren, wurden moderate Auswirkungen auf die Produktbildung erzielt. Durch die anschließende Kombination der besten Hits konnte eine Zweifach- (M.aqRT) und schließlich eine Dreifachvariante (M.aqRLT) generiert werden, die die effiziente ω-Hydroxylierung von Octansäure ermöglichen. M.aqRLT zeigte eine 151-fach verbesserte katalytische Effizienz und eine stark erhöhte Substratbindung (25-fach verringerter Km im Vergleich zum Wildtyp). Mithilfe von molekulardynamischen Simulationen konnten neue Erkenntnisse über die Dynamik des Enzyms gewonnen und aus den Mutationen resultierende Modifikationen der Tunnelstruktur verdeutlicht werden. Eine stark reduzierte Flexibilität und ein neuer Bottleneck des Tunnels 2c stellten sich als Hauptmerkmale der generierten Varianten heraus, die für die Stabilisierung des Enzym-Substrat-Komplexes und die Steigerung der katalytischen Effizienz verantwortlich sind. Die Interaktion des von S. Hoffmann beschriebenen Arginins als Fettsäureanker, Q129R, mit dem Carboxylat der Octansäure führt zu deren Stabilisierung in der reaktiven Konformation, wodurch die Aktivität der Variante M.aqRLT gegenüber Octansäure stark gesteigert wird. Durch die Generierung eines artifiziellen Fusionskonstrukts M.aqRLT-PFOR und der in vivo Vorausschaltung einer Thioesterase, die vermehrt Octansäure bildet, wurde die de novo Produktion von 129 ± 5 µM ω-Hydroxyoctansäure als Anwendungsbeispiel gezeigt. Im finalen Teil der Arbeit wurde durch gezieltes Engineering innerhalb der Tunnel die Substratpräferenz von CYP153AM.aq zu Dodecylamin, einem inhibierend wirkenden Fettamin, verändert. Um die Variantenbibliothek direkt aus 96-Deepwell Platten zu messen, wurde eine auf LC/MS-basierende Screeningmethode etabliert und angewendet. Durch die Umgehung einer chromatographischen Trennung der Analyten konnte die Messzeit erheblich, von 5,5 Minuten auf 36 Sekunden je Probe herabgesetzt werden. Während das verwendete Dodecylamin auf den Wildtypen als Inhibitor wirkt (IC50 = 0,9 µM) konnte durch gezielte Mutagenese an den in dieser Arbeit identifizierten Hotspots eine Variante, M.aqESE, generiert werden, die den bisherigen Inhibitor als ein neues Substrat akzeptiert (10 TON h-1). Durch das Einbringen von zwei Glutaminsäuren wurde die Aminogruppe im Tunnel fixiert und daran gehindert an das katalytisch aktive Eisen zu koordinieren, was den inhibierenden Effekt auslöst. Es zeigte sich, dass die generierten Varianten weniger durch das Amin gehemmt werden und gleichzeitig weniger affin zur Säure sind, da die Säuregruppe von den Glutaminsäureresten abgestoßen wurde. Im Verlauf dieser Arbeit konnte deutlich gezeigt werden, welche enormen Effekte durch Enzym Engineering an Tunnelstrukturen generiert werden können und welches Potenzial in der Kombination von experimentellen Versuchen und der computergestützten Modellierung und Simulation zum tiefergehenden Verständnis von Enzymen und Enzymkatalyse liegt. |