Subjektives Erleben von Zwangsmaßnahmen – Prävention von Zwang aus Sicht Betroffener

Autor: Mielau, Juliane
Rok vydání: 2019
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DOI: 10.17169/refubium-2628
Popis: Unter bestimmten Bedingungen können Zwangsmaßnahmen (ZM) bei psychotischen Patienten dazu beitragen, ihre Selbstbestimmungsfähigkeit wiederzuerlangen, vor Eigen- oder Fremdgefährdung zu schützen bzw. Eigengefährdung bedingende Symptome zu lindern. Patienten, die ZM erfahren, zeigen Behandlungsverläufe mit hohen Wiederaufnahmeraten, Selbststigma, sowie weniger Empowerment und Lebensqualität. Aus der Betroffenenperspektive ist wenig über die subjektive Wahrnehmung von ZM, deren Rechtfertigung, Einschätzungen über mögliche Alternativen zu ZM und deren Konsequenzen in Bezug auf zukünftige Behandlungen bekannt. Die erste hier vorgestellte Studie untersucht die Einstellungen von an Schizophrenie, schizoaffektiver oder bipolarer Störung erkrankten Patienten gegenüber psychiatrischen ZM unter Berücksichtigung des Einflusses der eigenen Behandlungsvorgeschichte im Vergleich zu Gesunden. Sechs Fallvignetten, welche klinische Entscheidungssituationen hinsichtlich der Anwendung von Zwang beschreiben, wurden 60 Freiwilligen und 90 Patienten zur Einschätzung vorgelegt. Mit Hilfe eines strukturierten Interviews sowie der „Coercion Experience Scale“ (CES) und der „Admission Experience Survey“ (AES), wurden objektive Aspekte und subjektives Erleben von Zwang in der Behandlung erfasst. Als Einflussvariablen fungierten das psychosoziale Funktionsniveau, der Schweregrad der Symptome und die Krankheitseinsicht. Im Ergebnis zeigten Patienten und gesunde Kontrollen keine signifikanten Unterschiede in ihrer Einstellung gegenüber Zwangsmedikation und -unterbringung. Im Gegensatz dazu lehnten Patienten signifikant häufiger mechanische Sicherungsmaßnahmen wie eine Fixierung ab. Ein höheres soziales Funktionsniveau, geringere selbst erlebte Behandlungseffektivität und -fairness und eine höhere Anzahl anamnestischer ZM prädizierten die Ablehnung von ZM (Mielau et al. 2015). In der zweiten Studie wurden Präventionsstrategien und Präferenzen im Hinblick auf ZM aus der Perspektive überwiegend zwangserfahrener Patienten untersucht. Aus Patientensicht könnten ZM durch ein häufigeres Angebot an Einzelgesprächen, Verbesserung der Personalbesetzung, Weiterbildung des Personals und verbesserte Kommunikation sowie räumliche Rückzugsmöglichkeiten reduziert werden. Die Mehrheit der Befragten präferierte eine im Falle von Selbstgefährdung durch Festhalten, im Falle von Fremdgefährdung durch Fixierung ermöglichte Zwangsmedikation gegenüber anderen Sicherungsmaßnahmen (Mielau et al 2016). Im Rahmen der dritten Studie wurden Anzahl, Art und subjektive Erfahrung selbst erlebter ZM, kognitive und klinische Krankheitseinsicht, Psychopathologie und die Wahrnehmung von Zwang während der Krankenhausaufnahme hinsichtlich ihres prädiktiven Wertes für die Haltung von 79 Patienten gegenüber psychiatrischen Institutionen analysiert. Als signifikante Prädiktoren erwiesen sich die wahrgenommene Behandlungsfairness und -effektivität sowie das subjektive Erleben der ZM. Ein hohes Maß an Selbstreflexivität war damit assoziiert, dass die Psychiatrie auch nach einer erlebten ZM als Unterstützung angesehen werden konnte. Die Ergebnisse unterstreichen die Bedeutsamkeit von Zuwendung und der Qualität der praktischen Umsetzung im Falle unumgänglicher ZM (Mielau et al. 2017).
Under certain conditions, coercive interventions (CI) in psychotic patients can help to regain the aptitude of self-determination, to avert endangerment of self or others or alleviate symptoms that cause self-harm. Patients who experience CI show courses of treatment with higher rates of readmission, self-stigma and less empowerment and quality of life. This study explored attitudes towards psychiatric CI in healthy individuals and persons suffering from schizophrenia, schizo-affective or bipolar disorder. The impact of personal history of CI on preferences concerning clinical management of patients unable to consent, was investigated. Six case vignettes depicting ethical decision-making scenarios were presented to 60 healthy volunteers and 90 patients. Structured interviews focusing on experienced coercion were performed in conjunction with the “Coercion Experience Scale” (CES) and the “Admission Experience Survey” (AES) that were used to establish objective aspects and subjective impact of CI. Symptom severity, psychosocial functioning (GAF) and insight into illness (SAI) were assessed as influencing variables. Student’s t-tests compared patients’ and controls’ judgments, followed by regression analyses to define the predictive value of coercion- and symptom-related instruments on judgments. Patients more than controls significantly disapproved of mechanical restraint. Higher overall functioning and quantities of experienced CI as well as a low level of personal experience of treatment effectiveness and fairness, predict the rejection of the justification of CI (Mielau et al. 2015). The second study explored patients’ preferences on measures of prevention of CI. Participants saw preventive potential in a wider availability of individual therapeutic sessions, improvement of professional competence and communication skills, high staff-to-patient ratios and retreat facilities. The majority of participants preferred forced medication and manual restraint in case of self-endangerment and forced medication in conjunction with mechanical restraint in the event of endangerment of others (Mielau et al. 2016). Using a logistic regression approach, influencing factors such as number, type and subjective experiences of CI, cognitive and clinical insight, psychopathology and patients'global perceptions of their hospitalisation were analysed for their predictive value of patients’ attitudes toward psychiatry. The subjective experience of CI and the perception of fairness and effectiveness during the treatment process predicted patients’ attitudes toward psychiatry as opposed to the quantity of CI or symptom-related measures. Patients presenting a higher degree of self-reflectiveness perceive psychiatric institutions more likely as allies (Mielau et al. 2017). Results underline the importance of the quality of practical implementation and care, if CI cannot be avoided.
Databáze: OpenAIRE