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Die Untersuchung der kindlichen Spontanmotorik kann Aufschluss über Schädigungen des zentralen Nervensystems geben. Die Analyse der so genannten General Movements (GM), bei der der Arzt die Qualität der Spontanbewegungen beurteilt, hat sich in mehreren Studien als Verfahren mit hohem prognostischen Wert bezüglich der Manifestation einer infantilen Cerebralparese (ICP) erwiesen. Als subjektives Verfahren ist diese Analyse allerdings auf die Erfahrung des Urteilers angewiesen. Ein objektives Verfahren könnte auch Anfänger bei der Untersuchung unterstützen und die Analyse der General Movements damit einem weiten Anwenderkreis zugänglich machen. Zudem würde solch ein objektives Verfahren eine tiefergehende Erforschung der kindlichen Spontanmotorik ermöglichen. Ziel dieser Arbeit war es, Methoden für die quantitative Erfassung, Beschreibung und Auswertung der kindlichen Spontanmotorik zu entwickeln, um die Eigenschaften normaler und anomaler Säuglingsbewegungen objektiv untersuchen zu können und quantitative Marker für die Prognose der ICP zu finden. Dafür wurden im Rahmen einer Studie die Spontanbewegungen von Kindern im Alter von jeweils einem und drei Monaten auf Video und mit einem elektromagnetischen Trackingsystem aufgezeichnet. Die Videoaufnahmen wurden von Experten bewertet und die Kinder wurden im Alter von 8, 12 und 24 Monaten nachuntersucht; bei letzterer Untersuchung wurde der neurologische Outcome bestimmt. Von 86 Aufnahmen im Alter von drei Monaten (Untersuchungsgruppe 63, Kontrollgruppe 23) war zur Drucklegung der vorliegenden Arbeit für 65 Kinder der Outcome bekannt, von denen sieben eine ICP entwickelt hatten. Mittels eines neu entwickelten biomechanischen Modells wurden aus den aufgezeichneten Sensordaten Winkelbewegungen der Arm- und Beingelenke rekonstruiert und damit die Spontanbewegungen der Kinder quantitativ abgebildet. Es konnte gezeigt werden, dass diese Messungen dank einer eigens neu entwickelten automatischen Rekalibrierung des Modells auch nach Störungen eine gleichbleibend hohe Qualität aufweisen. Aus den quantifizierten Säuglingsbewegungen konnten drei objektive Merkmale gewonnen werden, die eine außergewöhnliche Bewegungsqualität bzw. auffällige Bewegungen quantifizieren, die bei Kindern mit Outcome ICP durch eigene Beobachtung gefunden wurden: Bei etwa der Hälfte dieser Kinder fiel auf, dass sie in den Beinen fast keine ausgeprägten Bewegungen zeigen, dass also kaum Bewegungen moderater Geschwindigkeit in den Gelenkfreiheitsgraden des Beins vorhanden sind. Weiterhin zeigen einige dieser Kinder abrupte Bewegungen in Arm und Bein. Das dritte Merkmal quantifiziert selbstähnliche Armbewegungen, die der Spontanmotorik des Säuglings eine stereotype Qualität verleihen. Mithilfe dieses Merkmals kann erstmals die in der Literatur beschriebene Monotonie pathologischer Säuglingsbewegungen quantitativ abgebildet werden. Die Kombination der ersten beiden Merkmale ermöglicht die Unterscheidung der sieben Kinder mit ICP von allen übrigen Kindern der Stichprobe mit einer Sensitivität von 100% und einer Spezifität von 97%. Die Prognose der ICP aufgrund der subjektiven Bewertung der Urteiler erreichte eine durchgehend hohe Sensitivität, jedoch gab es bis zu 50% falsch positive Urteile, d.h. die schlechteste Kategorie der GM-Bewertung vereint ICP-Fälle mit Fällen von weniger starken neurologischen Störungen. Eine höhere Spezifität wäre hier wünschenswert. Die ermittelten objektiven Merkmale können als Entscheidungshilfe dienen, um so den Urteilern eine höhere Treffsicherheit bezüglich der ICP-Prognose zu ermöglichen. Generell könnte die Einbeziehung der gefundenen Merkmale — Abwesenheit ausgeprägter Beinbewegungen,isolierte Bewegungen und stereotype Armbewegungen — die Aussagekraft der subjektiven Analyse der kindlichen Spontanmotorik erhöhen. Die neu entwickelte und angewendete Methodik eröffnet neue Möglichkeiten zur objektiven, effizienten Erforschung der kindlichen Spontanmotorik. Während bei der herkömmlichen Vorgehensweise eine große Anzahl an Videoaufnahmen studiert werden muss, um die Verallgemeinerbarkeit einer bestimmten Beobachtung zu prüfen, kann dieser Schritt automatisiert geschehen, wenn diese subjektive Beobachtung vorher formalisiert wurde. Neben dem erheblich geringeren Aufwand liegt der Vorteil der in dieser Arbeit eingeführten semi-automatischen Methode darin, dass man schließlich über eine objektive Beschreibung des jeweils beobachteten Phänomens verfügt. Mit Hilfe des entwickelten Systems wurden im Rahmen dieser Arbeit objektive Bewegungsmerkmale gefunden, die auf eine sich entwickelnde ICP hinweisen können. Das System kann in Zukunft als Instrument verwendet werden, um die kindliche Spontanmotorik weiter zu erforschen und um Ärzte im klinischen Einsatz bei ihrer Entscheidungsfindung zu unterstützen. |