Klassifikation von Verlaufstypen von Patienten mit psychischen Erkrankungen hinsichtlich der Zielgrößen Empowerment, Versorgungsbedarf sowie klinische und psychosoziale Beeinträchtigung : Ergebnisse der Längsschnittstudie IVPOWER

Autor: Deggendorfer, Theodor
Přispěvatelé: Kilian, Reinhold, Keller, Ferdinand
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2022
Předmět:
DOI: 10.18725/oparu-44180
Popis: Hintergrund: Das Ziel der vorliegenden Dissertation war die Klassifikation von Verlaufskurven der Parameter „Empowerment“, „Schweregrad der psychischen Erkrankung/klinische und psychosoziale Beeinträchtigung“ und „Versorgungsbedarf“ bei Patienten mit psychischen Erkrankungen. Hierbei wurde der Frage nach dem Vorliegen spezifischer Subpopulationen (latenter Klassen) nachgegangen. Zudem wurde untersucht, ob sich durch Hinzunahme bestimmter Kovariaten (soziodemographische Faktoren, aktuelle Lebensumstände und Indikatoren des aktuellen Gesundheitszustands und der Krankheitsgeschichte), welche zu Beginn der Studie erhoben wurden, der Modellfit verbessern und die Klassenzugehörigkeit vorhersagen lässt. Verbunden mit diesen Fragestellungen war das Ziel einer frühzeitigen Diagnostik und Vorhersage von Krankheitsverläufen sowie das Finden innovativer Ansatzpunkte für die Behandlung psychischer Erkrankungen, die sich jenseits der rein symptomatischen Behandlung im Bereich der psychosozialen und soziotherapeutischen Behandlungsansätze unter Einbeziehung der subjektiven Patientenperspektive bewegen. Methode: Bei der zugrundeliegenden IVPOWER-Studie (Wirksamkeit und Effizienz von Verträgen zur Integrierten Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen unter Realweltbedingungen bei besonderer Berücksichtigung der Verbesserung von Empowerment und Lebensqualität) handelte sich um eine multizentrische, naturalistische, prospektive, kontrollierte, nicht-randomisierte Beobachtungs- und Längsschnittsuntersuchung mit vier Messzeitpunkten über zwei Jahre hinweg. Die Nachuntersuchungen erfolgten im Abstand von sechs Monaten nach der Baseline-Untersuchung. Bei den regionalen Leistungserbringern des Netzwerks für psychische Gesundheit (NWpG) wurden in den fünf Studienregionen Berlin, Dresden, München, Schleswig-Holstein (Kiel, Itzehoe, Elmshorn) und Rheinland (Oberhausen, Duisburg, Essen, Mettmann, Solingen, Köln, Leverkusen, Bonn) 511 Patienten im Alter von 18 bis 80 Jahren mit einer psychischen Störung rekrutiert, von denen 260 Patienten an einem Programm zur Integrierten Versorgung im NWpG teilnahmen und 251 Patienten lediglich Zugang zur Standardversorgung hatten. Neben der Erfassung soziodemographischer Variablen mittels des Client Sociodemographic and Service Receipt Inventory (CSSRI) wurden die drei Zielgrößen dieser Arbeit mit dem Fragebogen zur Erfassung von Empowerment im psychiatrischen Behandlungsprozess von Patienten mit affektiven und schizophrenen Erkrankungen (EPAS), dem Camberwell Assessment of Need – European Version (CAN-EU) und der Health of the Nation Outcome Scale (HoNOS) ermittelt. Die statistische Analyse erfolgte mittels einer Latent Class Growth Analysis (LCGA) nach Nagin unter Verwendung des Statistikprogramms Mplus. Ergebnisse: Zunächst wurden die qualitativen Unterschiede zwischen den Individuen bezüglich des Veränderungsprozesses der drei Zielgrößen untersucht. Es konnte gezeigt werden, dass sich unter Anwendung einer LCGA bei den psychiatrischen Patienten unterschiedliche latente Klassen bezogen auf die Verlaufskurven der drei Indikatoren „Empowerment“, „klinische und psychosoziale Beeinträchtigung“ und „Versorgungsbedarf“ ermitteln lassen. Um zu einem statistisch und inhaltlich zufriedenstellenden Modell zu gelangen, wurde die Anzahl latenter Klassen sukzessive erhöht. Nach Abwägung der unterschiedlichen Modelle im Nagin-Ansatz ergibt sich die 3-Klassen-Lösung als überzeugendste Modellspezifikation: Die Klasse der „high responder“ zeichnet sich durch die „besten“ Ausgangswerte (Intercepts), d.h. die höchsten Empowerment-Werte, die geringste klinische und psychosoziale Beeinträchtigung, den geringsten Versorgungsbedarf, die stärksten linearen Veränderungen (Intercepts) sowie zeitliche Stabilität (signifikanter quadratischer Verlaufsparameter) aus. Die Klasse der „sound responder“ weist im Vergleich zur Klasse der „high responder“ „schlechtere“ Ausgangswerte (Intercepts) auf, geringere, jedoch signifikante Veränderungen aller linearen Verlaufsparameter, die aufgrund der durchweg nicht signifikanten quadratischen Verlaufsparameter als nicht zeitstabil bewertet werden. Die latente Klasse der „non-responder“ zeigt bei keinem der drei Indikatoren eine signifikante Veränderung bei den durchschnittlich „schlechtesten“ Ausgangswerten. Durch die Hinzunahme von Kovariaten gelang eine bessere Spezifikation des Basismodells. Einige Kovariaten im konditionalen, „quadratischen“ Modell mit 3-Klassen-Lösung erwiesen sich als Prädiktoren für die Klassenzugehörigkeit. Darunter finden sich sechs soziodemographische Faktoren bzw. Faktoren aktueller Lebensumstände: Bildung, Erwerbstätigkeit, Kontakt zu Familie und Freunden, Body-Mass-Index und Rauchen. Unter den Indikatoren des aktuellen Gesundheitszustands und der Krankheitsgeschichte ließen sich vier Prädiktoren aufzeigen: Erkrankungsdauer, Vorliegen einer somatischen Erkrankung oder psychiatrischer Mehrfachdiagnosen und die Kosten für die Inanspruchnahme von ambulanten Versorgungsleistungen. Diskussion: Aus dem Blickwinkel der Gesundheitsökonomie und Versorgungsforschung ist die frühzeitige Zuordnung eines Patienten zu einer latenten Klasse und die Vorhersage des Krankheitsverlaufs höchst interessant, weil diese zu einer erleichterten Behandlungsplanung, einem Schließen von bestehenden Versorgungslücken, einem frühzeitigen Einleiten passgenauerer Versorgungsangebote und damit einer effizienteren sowie effektiveren psychiatrischen Behandlung beitragen können. So zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Arbeit, dass die Wahrscheinlichkeit, der Gruppe der „non-responder“ anzugehören, unter anderem durch eine Erwerbstätigkeit, Bildung und soziale Integration sinkt (vgl. Forschungsfrage 2). Für diese Patientengruppe erscheint daher ein über die rein symptomatische Behandlung hinausgehendes Versorgungsangebot aus dem Bereich der psychosozialen und soziotherapeutischen Behandlungsansätze (vgl. S3 Leitlinie Psychosoziale Therapien bei schweren psychischen Erkrankungen), zum Beispiel mit dem Ziel beruflicher Rehabilitation und sozialer Integration, passend und notwendig zu sein. Ausblick: Die in der vorliegenden Arbeit durch die latente Klassenanalyse gewonnenen Informationen stellen einen Anreiz und Ausgangspunkt für zukünftige Forschungsvorhaben dar. Einer möglichen Replikation der Ergebnisse könnte sich die Untersuchung weiterer potenzieller Prädiktoren anschließen mit der Zielsetzung, Kriterien für eine erfolgreichen Behandlungsverlauf zu identifizieren und Behandlungsergebnisse vorherzusagen. Dies soll den Ausbau innovativer Versorgungsangebote unter Einbezug der Patientenperspektive unterstützen.
Databáze: OpenAIRE