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Auch im Jahr 2020, fünf Jahre nach der so genannten Flüchtlingskrise, steht das deutsche psychiatrisch-psychotherapeutische Gesundheitssystem vor der Herausforderung, immer mehr Menschen aus verschiedenen Ländern mit unterschiedlichen Sprachen angemessen zu behandeln. Obwohl das Thema in den letzten Jahren zunehmend an Relevanz in Forschung und Praxis gewonnen hat, mangelt es an aktuellen empirischen Daten zur Versorgungslage von Patienten mit Migrationshintergrund. Die wenigen Untersuchungen deuten auf eine Fehlversorgung von Patienten1 mit Migrationshintergrund in der psychiatrischpsychotherapeutischen Versorgung hin. Dabei ist allerdings bislang wenig darüber bekannt, wie Patienten mit Migrationshintergrund einerseits und Behandler in der psychosozialen Versorgung andererseits, die Behandlung einschätzen und welchen Bedarf und welche Lösungsvorschläge sie sehen. Bislang werden transkulturellen Kompetenzen von Mitarbeitern eine zentrale Rolle für eine Verbesserung der Versorgungsbedingungen zugeschrieben. Dabei ist nach wie vor nicht geklärt, was transkulturell kompetentes Handeln für den Bereich der psychiatrischpsychotherapeutischen Versorgung genau beinhalten könnte. Entsprechend widmet sich die vorliegende Arbeit zunächst der Einführung zentraler Begriffe. Es gilt zu klären, wer eigentlich gemeint ist, wenn von „Menschen mit Migrationshintergrund“ gesprochen wird. Auch die Begriffe „Kultur“ und „Transkulturelle Kompetenz“ werden ausführlich dargestellt. Weiterhin wird der aktuelle Stand der psychosozialen Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund in Deutschland wiedergegeben. Dabei liegt ein Fokus auf möglichen Gründen für die bestehende Fehlversorgung sowie den bislang diskutierten Lösungsvorschlägen. Es folgt die Darstellung über den Stand der Aus- und Weiterbildung von Behandlern in transkulturellen Kompetenzen. Der Abschnitt schließt mit einem Überblick über den aktuellen Forschungsstand zur Perspektive von Patienten mit Migrationshintergrund und Behandlern auf die transkulturelle Behandlung. In der vorgelegten kumulativen Dissertation werden qualitative Daten aus fünf Untersuchungen zusammengeführt. Bei den Daten handelt es sich zum einen um Textpassagen und Definitionen von transkultureller Kompetenz aus deutsch- und englischsprachigen Fachartikeln, zum anderen um Daten aus insgesamt 41 Interviews mit Patienten mit Migrationshintergrund sowie mit Behandlern. Als qualitative Auswertungsmethoden kamen die Grounded Theory sowie die inhaltlich-strukturierende qualitative Inhaltsanalyse zum Einsatz. Im Rahmen eines Literaturreviews (Publikation 1) wurden Textpassagen und Definitionen von transkultureller Kompetenz aus 130 deutsch- und englischsprachigen Artikeln auf die Frage hin untersucht, welche Konzeptionen von transkultureller Kompetenz es in Psychologie, Medizin und angrenzenden Fachdisziplinen gibt und welche für die psychosoziale Versorgung relevant sein könnten. Die Analyse ergab drei Ansätze von transkultureller Kompetenz, den technologischen Ansatz, den Komponentenansatz sowie den Haltungs-und Einstellungsansatz. Es werden verschiedene Kriterien aufgezeigt, die bei der Einschätzung von Vorschlägen zur Umsetzung von transkultureller Kompetenz in der Praxis helfen können. An die Frage, was unter transkultureller Kompetenz in der psychiatrischpsychotherapeutischen Versorgung zu verstehen ist, schließt die Überlegung an, inwiefern es sich bei der Kompetenz um eine „Spezialkompetenz“ handelt oder ob anzunehmen ist, dass die Qualifikation für transkulturell kompetentes Handeln bereits in den allgemeinen Kernkompetenzen psychiatrisch-psychotherapeutischen Arbeitens aufgeht. Dieser Frage wurde in Publikation 4 nachgegangen. Behandler und Patienten mit Migrationshintergrund wurden nach ihren Vorstellungen von transkultureller Kompetenz gefragt. Es zeigte sich, dass sich nach Ansicht der Befragten, transkulturelle Kompetenzen in allgemeinen psychotherapeutischen Kernkompetenzen abbilden. Eine zentrale Schlüsselqualifikation für transkulturell kompetentes Handeln scheint die Fähigkeit zum individualisierten Vorgehen in der Behandlung zu sein. In einer weiteren Untersuchung wurden die aus den Interviews mit Behandlern erhobenen Daten hinsichtlich der Frage untersucht, wie sie die Arbeit mit Patienten mit Migrationshintergrund erleben (Publikation 2). Es zeigte sich, dass die Arbeit mit dieser Klientel für die befragten Behandler als sehr herausfordernd und häufig verunsichernd empfunden wird. Auch wurde deutlich, dass das professionelle Selbstkonzept der Behandler Einfluss auf das Erleben in der Behandlung zu haben scheint. Ein professionelles Selbstkonzept als „lebenslang Lernender“, der die im Rahmen der transkulturellen Behandlung offenbar häufiger auftretenden Unsicherheiten bezogen auf die Symptomatik oder die adäquate Behandlung als immanenten Bestandteil der Behandlung ansieht, scheint mit mehr Offenheit einherzugehen, die Klientel überhaupt in die Behandlung aufzunehmen (Publikation 3). Daraus lassen sich Implikationen für die Aus- und Weiterbildung von psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlern ableiten. Den Erfahrungen von Behandlern wurden in einer weiteren Studie die Erfahrungen von Patienten mit Migrationshintergrund gegenüber gestellt und geschaut, wie diese die bestehenden Versorgungsangebote bewerten. Ein Schwerpunkt bildete dabei die Frage, wie sie den Zugang zum psychosozialen Versorgungsystem einschätzen (Publikation 5). Es zeigte sich auch hier, dass die befragten Patienten jedes „technologische“ Vorgehen in der Behandlung ablehnten und sich besonders von Behandlern angesprochen fühlten, die individuell auf ihre Anliegen eingehen konnten. Demgegenüber schätzten sie „kulturspezifisches“ Expertenwissen als unwichtig für eine gelungene Behandlung ein. Spezialangebote bewerteten die Befragten aus Angst vor weiterer Stigmatisierung und Ausgrenzung als problematisch und wünschten sich eher Unterstützung und Aufklärung – auch auf verschiedenen Sprachen – beim Zugang zum deutschen Versorgungssystem. Das übergeordnete Ziel der Arbeit ist die Verbesserung der Versorgungsbedingungen von Patienten mit Migrationshintergrund. Die vorgelegte Arbeit bietet neben der ausführlichen Darstellung der einzelnen Studien eine Zusammenführung der Ergebnisse und gibt Hinweise auf 1. Ursachen für bestehende Fehlversorgung von Patienten mit Migrationshintergrund in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung 2. Möglichkeiten zum Abbau von Engpässen in der psychiatrisch-psychotherapeutischen Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund 3. den Nutzen präventiver Maßnahmen in der Versorgung von Patienten mit Migrationshintergrund 4. die Konzeption von transkultureller Kompetenz für die psychiatrischpsychotherapeutische Versorgung 5. die Aus- und Weiterbildung von psychiatrisch-psychotherapeutischem Fachpersonal Fußnote 1 Aus Gründen der Lesbarkeit wird in der vorliegenden Arbeit auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet, wenn es sich um Beschreibungen beider Geschlechter handelt. Es sei jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die männliche Form in diesen Fällen explizit als geschlechtsunspezifisch zu verstehen ist. |