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Der vorliegende Beitrag widmet sich einer besonderen Form der Konstruktionen individueller Zugehörigkeit (Christensen 2009), nämlich jener zu Heimat. Wir fragen, mit welchen Narrativen Menschen den Begriff Heimat füllen, was im Alltag Heimat räumlich und zeitlich bedeutet, und wie mit Ideen zu Heimat individuelle Zugehörigkeit erzählt und präsentiert wird. Heimat ist im deutschsprachigen Raum politisch höchst ambivalent besetzt (Kurbjuweit 2012). Historisch erlangt der Begriff im 19. Jahrhundert durch die zunehmend nationalistischen Strömungen an Wichtigkeit – eine Entwicklung, die mit dem Nationalsozialismus ihren Höhepunkt findet. Heute sind es vor allem rechte/rechtsextreme Parteien, die Heimat zum Slogan machen, für ihren Parteinamen verwenden und Ideen und Ziele der „Verteidigung der Heimat“ formulieren (Reißmann 2010; Rosenberger und Hadj-Abdou 2012; Scheller und Schmidt 2012). Für die wissenschaftlich-empirische Annäherung an Zugehörigkeit ist Heimat ein interessantes Konzept, weil in ihm zwei oft idealtypisch getrennte Ebenen ineinander fließen: Politisches/Kollektives einerseits und Privates/Subjektives andererseits. Auch wenn Zugehörigkeit individuell bestimmt wird (Selbstdefinition), ist Heimat Teil des kollektiven Gedächtnisses und als solche eine Ressource, auf die politisch zurückgegriffen werden kann. Beide Ebenen stehen im Austausch miteinander. Um eigene Erfahrungshorizonte zu interpretieren, greifen Personen auf kollektive Erzählungen von Heimat zurück und lassen diese in individuelle Konstruktionen von Zugehörigkeit einfließen. Die politische Mobilisierung der Zugehörigkeit hingegen adressiert individuelle Gefühle und Befindlichkeiten im Zusammenhang mit Heimat und wird so zur „Politik der Zugehörigkeit“ (Yuval-Davis 2006) – eine Mobilisierung, die sich vor allem gegen ImmigrantInnen richtet. In diesem Sinne ist Heimat nicht nur Ausdruck von Emotion, wie sich zu Hause fühlen, sich sicher fühlen oder sich wohlfühlen, sondern ein kognitiver und emotionaler Raum (Svasek 2002, 515, fn. 5) irgendwo zwischen dem Individuellen und dem Kollektiven angesiedelt (Huber und O’Reilly 2004, 330). Die alltäglichen Konstruktionen individueller Zugehörigkeit mit Heimat werden im Folgenden interdisziplinär beleuchtet. Künstlerische Arbeiten und wissenschaftliche Literatur zu Zugehörigkeit und materieller Kultur bilden das theoretische Fundament (siehe unten). Der Beitrag stützt sich sowohl auf textliche (offene Interviews) als auch auf visuelle Daten (künstlerische Fotografien, materielle Objekte), die in Haushalten in Wiener Gemeindebauten generiert wurden. Der Ort der Erhebung, der Wiener Gemeindebau, zeichnet sich durch seine große zeitgeschichtliche1 wie aktuelle politische Bedeutung aus sowie durch die Tatsache einer zunehmend ethnischen Heterogenität bei einer gleichzeitig eher homogenen sozio-ökonomischen Bevölkerungsstruktur (IFES 2007; Reinprecht 2007). Basierend auf der Annahme, dass Narrative zu Heimat im Überlappungsbereich von Privat und Öffentlich angesiedelt sind, findet unsere Forschung darüber hinaus an einem Ort der Teilöffentlichkeit, nämlich in Wohnzimmern, statt (Siebel 1999, 12 f.; Hall 2009). Die darin „ausgestellten“ Gegenstände repräsentieren nicht selten die darin lebenden Personen – und damit geben sie auch ein Stück weit Auskunft über deren individuelle Zugehörigkeiten (Miller 2001; Miller 2008). Im nächsten Kapitel stellen wir die theoretische Verortung, die Methoden und die Materialgrundlage des Beitrages dar. Im Hauptteil „Zu Besuch im Wohnzimmer“ werden entlang von vier Dimensionen (Sehnsucht, Stolz, Geborgenheit, Erinnerung/Nostalgie) individuelle Zugehörigkeiten mit Fokus auf Heimat mit dem wissenschaftlichen Ziel analysiert, zum Verstehen des politischen Mobilisierungspotenzials von Zugehörigkeit einen Beitrag zu leisten. |