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Eine Vielzahl von Stress-assoziierten Erkrankungen nimmt in unseren modernen, immer urbaner werdenden Gesellschaften eine große und zum Teil stark wachsende gesamtgesellschaftliche Bedeutung ein. Obwohl die Mechanismen hinter der Entstehung Stress-assoziierter Erkrankungen allgemein noch nicht vollständig bekannt sind, deuten neueste Studien daraufhin, dass eine chronische, niederschwellige Immunaktivierung, verursacht durch eine verringerte körpereigene Immunregulation dabei eine maßgebliche Rolle spielt. In Anbetracht der Tatsache, dass Urbanisierung zudem mit einem umfangreichen Schwund an mikrobieller Biodiversität einhergeht sowie verringerte Exposition zu spezifischen mikrobiellen Antigenen und insbesondere immunregulatorischen Mikroorganismen („Old Friends“) mit der Entstehung entzündlicher Erkrankungen in Verbindung gebracht wird, liegt es nahe, dass die Vulnerabilität urban aufwachsender Individuen für Stress-assoziierte Erkrankungen durch eine erhöhte Stress-induzierte Inflammationsreaktion vermittelt sein könnte. Dies zu prüfen war ein Ziel des Projektes URSS („Urban versus rural stress study“), aus dem die Veröffentlichung „Less immune activation following social stress in rural vs. urban participants raised with regular or no animal contact, respectively“, die Dissertation von Till Böbel (in Arbeit) sowie diese Dissertation hervorgingen. Im Detail sollte geprüft werden, ob das Aufwachsen auf einem Hof mit Nutztierhaltung, beziehungsweise in einer größeren Stadt ohne Tierhaltung, die Sekretion von Zytokinen (Interleukin-6, Interleukin-10) und Cortisol in das Blutplasma, von α Amylase in den Speichel sowie die psychische Stressverarbeitung nach akuter psychosozialer Stressexposition im Erwachsenenalter beeinflusst (Hypothese 1). Darauf aufbauend sollte folglich betrachtet werden, ob das Aufwachsen in einer größeren Stadt ohne Tierhaltung, im Vergleich zum Aufwachsen auf einem Hof mit Nutztierhaltung, einen Risikofaktor darstellt für eine gesteigerte Stress-induzierte Inflammationsreaktion im Erwachsenenalter (Hypothese 2). Hierzu wurden 40 gesunde, junge, männliche Probanden rekrutiert und in zwei Probandengruppen aufgeteilt. Die Landgruppe (n=20) beinhaltete Probanden welche auf einem Hof mit Nutztierhaltung bis zum vollendeten 15. Lebensjahr aufwuchsen. Die Stadtgruppe (n=20) beinhaltete Probanden, die ebenso bis zum vollendeten 15. Lebensjahr in einer Stadt mit mindestens 100.000 Einwohnern ohne Tierhaltung aufwuchsen. In beiden Probandengruppen wurde der standardisierte „Trier social stress test“ (TSST) durchgeführt, der in der Stadtgruppe, im Gruppenvergleich, zu einem prolongierten Konzentrationsanstieg von Interleukin-6 im Blutplasma führte. In der Landgruppe zeigte sich bezüglich der Stressinduktion mittels TSST, im Gruppenvergleich, ein höheres Maß an Ängstlichkeit, Erleben von Bedrohung und Herausforderung, höhere basale und postexpositionelle Cortisolkonzentrationen im Blutplasma sowie eine verlängert erhöhte Sekretion von α-Amylase in den Speichel. Unter Abwägung der Limitationen und methodischen Einschränkungen, kann für die URSS-Probanden die Hypothese 1 sowie die Hypothese 2 als bestätigt betrachtet werden. Die URSS-Daten legen nahe, dass das Aufwachsen auf einem Hof mit Nutztierhaltung, im Vergleich zu dem Aufwachsen in einer größeren Stadt ohne Tierhaltung, neben Beeinflussung der Cortisolsekretion in das Blutplasma, der Sekretion von α-Amylase in den Speichel und der psychischen Stressverarbeitung, auch die Regulationskapazität einer Stress-induzierten Inflammationsreaktion im Erwachsenenalter beeinflusst. Die genannten immunologischen URSS-Ergebnisse stehen daher im Einklang mit der „Old-Friends-Theory“, da Aufwachsen in größeren Städten, aufgrund von umfangreichem Schwund an Biodiversität, ebenso mit verringerter Exposition zu apathogenen, immunregulierenden Mikroorganismen einhergeht. Durch URSS konnte erstmals dargestellt werden, dass das Aufwachsen in einer Stadt ohne Tierhaltung, im Vergleich zum Aufwachsen auf einem Hof mit Nutztierhaltung, unabhängig vom aktuellen Wohnort, potentiell die Vulnerabilität für Stress-assoziierte Erkrankungen im Erwachsenenalter erhöht. Diese erhöhte Vulnerabilität entsteht mit hoher Wahrscheinlichkeit durch eine eingeschränkte immunologische Regulationskapazität, die eine prolongierte, überschießende Stress-induzierte Inflammationsreaktion bedingt. Aus anhaltender (psychosozialer) Stressexposition kann folglich eine chronische, niederschwellige und systemische Inflammation („chronic low-grad inflammation“) resultieren, die als essentiell in der Pathogenese und dem Krankheitsverlauf von zahlreichen Stress-assoziierten Erkrankungen zu bewerten ist. |