Meinungsvielfalt, Meinungsmacht, Meinungsbildung. Zum (ungeklärten) Verhältnis zentraler Begriffe der deutschen Medienkonzentrationskontrolle

Autor: Daniel Stegmann, Lisa Zieringer, Birgit Stark, Carsten Reinemann
Rok vydání: 2022
Předmět:
Zdroj: UFITA. 86:38-70
ISSN: 2568-9185
DOI: 10.5771/2568-9185-2022-1-38
Popis: Die demokratietheoretisch begründete Vielfaltssicherung über das Medienkonzentrationsrecht beruht auf der Annahme, dass eine ausreichend hohe strukturelle Vielfalt unterschiedlicher Medienanbieter die notwendige inhaltliche Vielfalt als Voraussetzung eines freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildungsprozesses garantiert. Diese nunmehr ein Vierteljahrhundert alte Prämisse steht seit vielen Jahren in der Kritik: Neben der eindimensionalen Messung von Meinungsmacht über Reichweiten und Marktanteile wird in hybriden Medienumgebungen insbesondere der fehlende Einbezug von Medienintermediären kritisiert. Auf fundamentalerer Ebene zeigt das Medienkonzentrationsrecht aus kommunikationswissenschaftlicher Perspektive zudem erheblich konzeptionelle Defizite. Vor allem das Verständnis von den Wirkungszusammenhängen im Meinungsbildungsprozess ist defizitär. An dieser theoretischen Lücke setzt der vorliegende Beitrag im Rahmen einer kommunikationswissenschaftlichen Analyse an, die Bezug nimmt auf die Grundlagenurteile des Bundesverfassungsgerichts und die einfachgesetzlichen Grundannahmen der Regulierung von Meinungsmacht. Nach einer tiefergehenden, kritischen Analyse der relevanten Begriffsbestimmungen Meinungsvielfalt, Meinungsmacht und Meinungsbildung wird mittels eines kommunikationswissenschaftlichen Meinungsbildungsmodells ein Input-Throughput-Output-Modell von Meinungsmacht im Meinungsbildungsprozess vorgelegt. Meinungsmacht wird dabei als Potenzial zur Beeinflussung von individuellen und öffentlichen Meinungsbildungsprozessen konzipiert, die sich auf drei Ebenen manifestiert. Auf der Input-Ebene liegt Meinungsmacht ersten Grades vor, wenn Akteure in der Lage sind, die Vielfalt der inhaltlichen Grundlage von Meinungsbildungsprozessen zu beeinflussen (Themen, Informationen / Fakten, Meinungen). Meinungsmacht zweiten Grades auf der Throughput-Ebene impliziert die Fähigkeit, zu beeinflussen, welche der theoretisch verfügbaren Inhalte bei den Rezipient*innen tatsächlich ankommen, womit insbesondere die Meinungsmacht von Medienintermediären konkretisiert wird. Auf der Output-Ebene sind konkrete Medienwirkungen angesprochen (Meinungsmacht dritten Grades). Ausgehend von diesem Modell wird gefordert, die geplante Reform des Medienkonzentrationsrechts zu nutzen, um eine evidenzbasierte Regulierung zu implementieren, die Ex-ante- und Ex-post-Ansätze verknüpft. Der erste Schritt dahin muss ein auf Dauerhaftigkeit gestelltes empirisches Monitoring von Meinungsmacht auf den Ebenen des vorgestellten Meinungsmachtmodells sein.
Databáze: OpenAIRE