Georg Simmel: Die widerspruchsvolle Individualisierung in einer versachlichten Welt

Autor: Mario Schulze, Andreas Bischof, Hanna Steffen
Rok vydání: 2011
Zdroj: Mythos Mitte ISBN: 9783531179711
DOI: 10.1007/978-3-531-93003-9_15
Popis: Georg Simmels Gesamtwerk enthalt eine Vielzahl von Abhandlungen uber das Individuum, den Individualisierungsprozess, das damit verbundene soziale Konfliktpotenzial sowie uber die eben beschriebene Ambivalenz von Individualitat. Diese Arbeiten Simmels fugen sich im weitesten Sinne als „Philosophie der Individualitat" in den Umkreis seiner fruhen Arbeiten zur Sozialphilosophie ein (vgl. Kohnke 1996: 321). Den Begriff ,Sozialphilosophie’ hatte Simmel Mitte der 1890er Jahre selbst ins Spiel gebracht. Er verstand ihn einerseits als kritischen Wink auf Kant und seine Kritik der Vernunft - in dieser suchte man Sozialphilosophie vergebens. Andererseits haben wir mit dem Uberbegriff Sozialphilosophie eine aus heutiger Sicht sinnvolle Etikettierung, die Simmel in seinen fruhen Arbeiten der 1890er Jahre noch nicht bemuht hatte. Bildete sich doch zu diesem Zeitpunkt erst sukzessive der Umkreis sozialphilosophischen Denkens heraus, in welchen Simmel dann uber ein Jahrzehnt spater, 1913/14, seine Einleitung in die Moralwissenschaft (1892/93) gestellt sehen wollte. Das gilt letztlich fur samtliche seiner das Individuum betreffenden Schriften. All diese zeichnen sich durch eine fur Simmel symptomatische Aufwertung organologischen Denkens aus, das in Simmels Augen fur die gesamte sichtbare Welt greift. Die Gesellschaft zeigt sich als vielgliedriger, lebendiger Organismus, in jedem einzelnen Teil die Totalitat des Daseins. Besonders in Simmels kleineren kunsttheoretischen Aufsatzen sind vielfaltige Referenzen zum Organismuskonzept der Romantik (im Gegensatz zum mechanistischen Weltbild) bis hin zu Goethes harmonikalem Bild organischer Welteinheit (vgl. Simmels Text Goethe von 1918). Goethe gehort zu den figures populaires’ im Werk Georg Simmels. Neben dem Zeugnis, das Simmel vor allem uber seine asthetische Erziehung abgelegt hat, ist Goethe auch als Hilfsfigur innerhalb seiner kulturkritischen Texte zu verstehen. Seine Vorstellung von einem organischen Verhaltnis zwischen Prozess und Inhalt entspricht Simmels intendiertem Akt der Beseelung der Objekte, die die Subjekte hervorbringen. Zugleich futtert sie Simmels vehemente Abgrenzung zum analytischen Denken, zur Zerstreuung in lauter Einzelheiten. Denn die Einzelwesen streben danach, ein Ganzes zu sein. Das ist die Keimzelle fur Sozialisation, fur die Erweiterung der sozialen Kreise, fur die Ausbildung von Individualitat und zugleich der Ausloser der von Simmel konstatierten fundamentalen Tragodie des Geistes uberhaupt: Sie zeigt sich in der Beharrlichkeit des einzelnen Teils auf sein Eigenrecht gegenuber dem Ganzen, aus dem es entwachsen ist. Dieser Gedanke findet sich in all seinen Schriften, besonders schon in seiner Philosophie der Landschaft beschrieben
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