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Im Laufe der Evolution hat die Natur Materialien mit bemerkenswerten Eigenschaften hervorgebracht, welche heutzutage vom Menschen entweder direkt verarbeitet werden oder als Vorbild für das Design synthetischer Materialien dienen. Hierbei sind besonders Kollagenfasern und Spinnenseide in den Fokus der Wissenschaft und Industrie gerückt. Kollagen bildet den Hauptbestandteil der extrazellulären Matrix in Wirbeltieren und ist aufgrund seiner biologischen Funktionalität für den Einsatz in der Biomedizin prädestiniert. Spinnenseide glänzt durch eine außergewöhnlich hohe mechanische Stabilität und ermöglicht die Absorption von Energie wie keine andere von der Natur oder von Menschenhand geschaffene Faser. Gegenstand des ersten Teils der Arbeit bestand vorwiegend darin, zwei mikrofluidische Faserspinn-Verfahren zur Herstellung von Fasermaterialien mit verbesserten oder neuartigen Eigenschaften zu generieren. In beiden mikrofluidischen Faserspinn-Verfahren wurde die Bildung von Fasern mittels hydrodynamischer Fokussierung eines zentralen (Bio)-Polymerlösungsflusses durch zwei dazu rechtwinklig-zuströmende Mantelflüsse eingeleitet. Im ersten mikrofluidischen Faserspinn-Verfahren wurde zur Evaluierung der Prozessparameter ein kontinuierlicher Fluss einer Modell-Polymerlösung durch zwei Luftströme fokussiert (Flüssig-in-Gas Flussfokussierung). In Analogie zum Lösungsblasspinnen (engl. Solution blow spinning) wurde hierbei die Modell-Polymerlösung als Flüssigkeitsstrahl aus einer Düse ausgestoßen, woraufhin die Verdampfung des Lösungsmittels einsetzte und isotrope Vliesstoffe oder Vliesstoffgarne erzeugt werden konnten. Zukünftig kann dieses Verfahren interessant sein, da hiermit im Gegenteil z.B. zum Elektrospinn-Verfahren auf ein elektrostatisches Feld verzichtet wird, wodurch das Risiko der Denaturierung empfindlicher (Bio)-Polymere (z.B. Kollagen) oder anderer sensitiver Verbindungen reduziert wird und sich darüber hinaus auch neue Anwendungsmöglichkeiten ergeben (z.B. in situ Beschichtung von lebendem Gewebe). Das zweite mikrofluidische Faserspinn-Verfahren behandelte die Herstellung von Kollagenendlosfasern, da bisherige Nassspinn-Verfahren Kollagenfasern mit nur mäßigen mechanischen Stabilitäten erzielten und die Herstellung mit dem Einsatz organischer Lösungsmittel, potenziell zellschädigender Vernetzungsreagenzien oder dem Risiko der Kollagendenaturierung einherging. In dem mikrofluidischen Faserspinn-Verfahren wurde ein zentraler Fluss einer sauer-eingestellten Kollagenlösung mit zwei neutralen, Polyethylenglykol-haltigen Pufferflüssen hydrodynamisch fokussiert (Flüssig-in-Flüssig Flussfokussierung). Die Interaktion der Lösungen induzierte die Bildung von Kollagenfibrillen, welche wiederum durch die hydrodynamische Fokussierung zu makroskopischen Fasern verdichtet und assembliert wurden. Der Durchmesser der dadurch generierten Fasern war durch die Flussraten der Kollagen- und Pufferlösungen, als auch durch die Faserabnahmegeschwindigkeit einstellbar. Mit finalen Durchmessern zwischen 3 und 6 μm erwiesen sich diese Fasern als signifikant dünner und mechanisch signifikant stabiler verglichen mit Kollagenfasern aus bisherigen Nassspinn-Verfahren. Um die Kollagenfasern auf ihre Eignung für die Biomedizin, speziell als Orientierungsstruktur für die periphere Nervenreparatur zu testen, wurden neuronale Zellen auf den Kollagenfasern kultiviert und differenziert. Die Zellen adhärierten auf den Kollagenfasern, zeigten elektrophysiologische Aktivität und ihre Neurite richteten sich effektiv entlang der Faserlängsachsen aus. Auch konnten die Kollagenfasern als Füllmaterial exemplarisch in Nervenleitröhren aus rekombinanter Spinnenseide eingesetzt werden. Alternativ zu vorgefertigten Nervenleitröhren aus rekombinanter Spinnenseide konnte mit selbst-rollenden Filmen zudem der simultane Einschluss von Füllmaterial und neuronalen Zellen praktikabler und schonender gestaltet werden. Im zweiten Teil dieser Arbeit wurde im Rahmen eines mehrmonatigen Aufenthalts an der University of Melbourne die bisher materialanalytisch-undokumentierte Spinnenseide der australischen Krabbenspinne Saccodomus formivorus untersucht. Im Gegensatz zu Radnetzen und anderen Spinnenseidennetztypen besitzen die körbchenartigen Netze von S. formivorus eine grundsätzlich andere Gestalt und deuten bereits durch ihre Haptik auf eine außergewöhnliche Formstabilität hin. Die Körbchennetze wurden grundlegend licht- und rasterelektronenmikroskopisch untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass die Seidenstränge des Netzes aus einem Verbund aus Mikrofasern und Submikrofasern bestehen. Mittels Synchrotron-Infrarotmikrospektroskopie wurde in beiden Fasertypen im Verbund ein unterschiedlicher Gehalt an C-O-C und C-OH-Gruppen ermittelt. Weiterhin zeigte sich, dass diese Verbundfasern signifikant geringere Werte für die Zugfestigkeit und das E-Modul im Vergleich zur Major Ampullate und Minor Ampullate Seide von Radnetzspinnen annahmen und keine Ähnlichkeit zum elastischen Materialverhalten der Flagelliform Seide besaßen. Jedoch waren die absoluten lateralen Widerstandskräfte der Verbundfasern gegenüber der Major Ampullate Seide der Modelradnetzspinne Nephila edulis deutlich erhöht. Aufgrund der strukturellen Ähnlichkeit beider Fasertypen mit den Fasern des Eierkokons anderer Spinnenarten wird angenommen, dass das Beutefangnetz von S. formivorus eine Erweiterung des ursprünglichen Eierkokons ist. Zusammenfassend wurde mit dieser Arbeit einerseits eine neue Technologie geschaffen, um Vliesstoffe und -garne flexibel und ohne Einsatz eines elektrischen Feldes herzustellen. Darüber hinaus wurde die Herstellung von Kollagenendlosfasern mit verbesserten Eigenschaften im Vergleich zu früheren Pendants ermöglicht, welche zudem Anwendungspotenzial in der peripheren Nervenreparatur zeigten. Die Erkenntnisse über die Spinnenseide von S. formivorus liefern hingegen wertvolle Einsichten in die Evolution des Spinnenseidennetzbaus und inspirieren die Entwicklung von neuen Fasermaterialien mit formstabilen Eigenschaften. |