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Mit dem zunehmenden Ausbau von Tagesschulen in der Deutschschweiz und von Ganztagsschulen in Deutschland stiegen auch die Erwartungen an eine stärkere Förderung von sozialen Kompetenzen bei den Schülerinnen und Schülern. So sollen diese außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangebote dazu beitragen, internalisierendes Verhalten (z.B. emotionale Probleme) oder externalisierendes Verhalten (z.B. aggressives Verhalten) zu verringern und prosoziales Verhalten zu fördern. Die bisherigen Forschungsbefunde fallen jedoch sehr unterschiedlich aus, wobei teilweise sogar unerwünschte Wirkungen durch außerunterrichtliche Bildungs- und Betreuungsangebote festgestellt wurden. Eine mögliche Erklärung für diese Unterschiede bieten die Interaktionen in den außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten. Allerdings fehlen empirische Untersuchungen zur Rolle der Gleichaltrigen und auch die Bedeutung der Interaktionsqualität zwischen dem Betreuungspersonal und den Schülerinnen und Schülern wurde bisher kaum berücksichtigt. Im Rahmen dieser Dissertation und des Forschungsprojekts EduCare-TaSe soll diesem Forschungsdesiderat begegnet werden. Die vom Schweizerischen Nationalfonds finanzierte Längsschnittstudie EduCare-TaSe – Tagesschulen und Schulerfolg? untersuchte insgesamt 1‘990 Primarschülerinnen und -schüler an 53 offenen Tagesschulen in der Deutschschweiz, wobei nur ein Teil der Schülerschaft das Tagesschulangebot nutzte. Der Untersuchungszeitraum erstreckte sich von Ende der 1. (T1) bis Ende der 2. (T2) Jahrgangsstufe. Dabei wurden Befragungen der Schul- und Tagesschulangebotsleitungen durchgeführt, um Informationen zum Ausbau des Tagesschulangebots, zu den zugrundeliegenden Motiven und zur Angebotsnutzung durch die einzelnen Schülerinnen und Schüler zu gewinnen. Die sozialen Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler wurden zu beiden Messzeitpunkten durch die Lehrpersonen, anhand des „Strengths and Difficulties Questionnaire“ (SDQ), eingeschätzt. Die Interaktionen mit dem Betreuungspersonal wurden durch externe Beobachterinnen und Beobachter beurteilt. Mittels Mehrebenenanalysen wurde der generelle Einfluss der Nutzung von Tagesschulangeboten auf die Entwicklung von sozialen Kompetenzen überprüft, wobei Schülerinnen und Schüler mit einer dauerhaften Angebotsnutzung (d.h. Nutzung über ein ganzes Schuljahr) mit den Schülerinnen und Schülern ohne Angebotsnutzung verglichen wurden. Dabei zeigten sich hinsichtlich der Entwicklung von externalisierendem und internalisierendem Verhalten leicht verstärkende und somit unerwünschte Effekte durch eine dauerhafte Nutzung der Tagesschulangebote. Bezüglich prosozialem Verhalten zeigten sich hingegen keine Effekte. Die gefundenen Effekte konnten zumindest teilweise durch die Interaktionen im Tagesschulangebot erklärt werden: Je mehr internalisierendes Verhalten von den Gleichaltrigen im Tagesschulangebot gezeigt wurde, desto unvorteilhafter wirkte sich die dauerhafte Angebotsnutzung auf die Entwicklung des internalisierenden Verhaltens aus. Ein analoger Moderationseffekt durch das Verhalten der Gleichaltrigen zeigte sich bezüglich der Entwicklung des externalisierenden Verhaltens, allerdings nur bei der dauerhaften Nutzung von Tagesschulangeboten mit einer unterdurchschnittlichen Interaktionsqualität mit dem Betreuungspersonal. Auch unabhängig vom Verhalten der Gleichaltrigen spielte die Interaktionsqualität mit dem Betreu-ungspersonal eine Rolle, wobei sich die dauerhafte Angebotsnutzung insbesondere bei einer niedrigen Interaktionsqualität verstärkend auf das externalisierende Verhalten auswirkte. Die zukünftige Forschung zu außerunterrichtlichen Bildungs- und Betreuungsangeboten sollte vermehrt auf die Vorteile von Mehrebenenanalysen zurückgreifen und dabei mögliche Wirkungen durch die Gleichaltrigen in den Angeboten und durch die Betreuungsqualität berücksichtigen. Letztere zwei Punkte gelten auch für die Praxis an Tagesschulen, in der auf eine hohe Betreuungsqualität und eine gute Durchmischung der Schülerschaft im Tagesschulangebot geachtet werden sollte, damit es nicht zu unerwünschten Wirkungen kommt und die angestrebte Förderung von sozialen Kompetenzen erreicht werden kann. |