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Die Dissertation beschäftigt sich mit der Rezeption von polizeilichen Einvernahmeprotokollen, die zu den Schlüsseldokumenten in Strafverfahren gehören. Als Teil der Strafakte gelangen die von der Polizei kondensierten und konservierten mündlichen Aussagen bis zum Gericht, wo sie für die Überprüfung der Konsistenz von mündlichen Aussagen oder als Beweismittel verwendet werden. Die grosse Bedeutung von Einvernahmeprotokollen steht im Widerspruch zu der Beschaffenheit von deren Form und Inhalt. So sind Protokolle keineswegs eine repräsentative Wiedergabe des Gesprochenen, sondern halten das Gesprochene stark selektiv und modifiziert fest. Zentraler Punkt ist, dass sich protokollführende Personen bei der Verschriftlichung an institutionellen Kategorien, Ordnungsprinzipien oder Verwendungszwecken orientieren und deshalb Einvernahmeprotokolle auch Leseanleitungen enthalten. Meine experimentelle Studie fragt erstens, wie sich Leseanleitungen in Form unterschiedlicher Protokollstile auf die Rezeption von Einvernahmeprotokollen auswirken. Es wurde die Wirkung von folgenden vier Protokollstilen getestet: konfrontativer Befragungsstil, monologische Protokollierung, „stark geglättete“ Sprache und sichtbare Protokollkorrekturen. Datengrundlage bildet eine experimentelle Studie, die mit Strafrichterinnen und -richtern (n = 510) sowie mit Rechtsstudierenden (n = 620) in der Schweiz durchgeführt worden ist. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interpretation der Protokollinhalte von der formalen Gestaltung abhängt. Dies ist nicht nur der Fall, wenn sich die Darstellungsmittel markant unterscheiden, wie beispielsweise dann, wenn monologisch statt dialogisch protokolliert wird, sondern es trifft auch zu, wenn es sich um subtilere Eingriffe in die formale Gestaltung handelt wie etwa die Elimination von orthografischen und grammatikalischen Fehlern. Wirkungsmächtigster Protokollstil ist der konfrontative Befragungsstil. Er löste sowohl bei Strafrichterinnen und -richtern wie auch bei den Studierenden doppelte Skepsis aus: So lässt er die Glaubhaftigkeit der Aussage der befragten Person schwinden und Zweifel bezüglich der Fairness des befragenden Polizisten aufkommen. Die Befunde zeigen weiter, dass auch der Protokollstil sichtbare Protokollkorrekturen ein Risiko für die befragte Person darstellt. Diese Ergebnisse sind insofern brisant, als dass sie belegen, dass sich Richterinnen und Richter bei ihrer Meinung von einem Protokollstil und damit von einem extra-legal factor beeinflussen lassen. Basierend auf einer Sekundäranalyse der Daten beleuchtet die Dissertation mit einer zweiten Forschungsfrage den Einfluss von Gerichtserfahrung auf die Rezeption von Einvernahmeprotokollen. Die Ergebnisse zeigen, dass die Interpretation von protokollierten Aussagen auch von soziodemographischen Merkmalen der Leserschaft beeinflusst wird. So verändert sich mit der Gerichtserfahrung die Bedeutungserschliessung ein- und derselben Antworten. Ebenso nehmen Merkmale wie Alter, Bildung und Geschlecht auf die Deutung Einfluss. Diese Ergebnisse werden vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen und Diskussionen zum Laienrichtertum in der Schweiz diskutiert. |