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In seinem Tagebuch vom 2. Oktober 1824 notiert Goethe den lapidaren Satz: „Heine von Gottingen“.1 — Eine durftige Nachricht uber die einzige Begegnung zweier Manner, die einmal in der Welt als die ersten Reprasentanten der deutschen Literatur gelten sollten. Naturlich bestand da der enorme Unterschied im Alter, im literarischen Renommee und in der gesellschaftlichen Stellung. Fur den beruhmten funfundsiebzigjahrigen Dichter und Staatsmann in Weimar war der von der Berliner zur Gottinger Universitat zuruckgekehrte und von einer Harzreise kommende Jurastudent nur einer unter vielen, die in Weimar um ein Gesprach nachsuchten. Und Goethes Zeit war bemessen, fur blose Leutseligkeiten zu kostbar, weshalb auch so viele Besucher die Audienzatmosphare im Haus am Frauenplan als frostig empfanden. Aber ist damit schon das Fehlen jeglichen Kommentars im Tagebucheintrag erklart? Immerhin hatte Heine bereits zwei seiner Fruhwerke an Goethe geschickt: 1821 sein erstes Gedichtbuch und 1823 den Band Tragodien, nebst einem lyrischen Intermezzo. Gewis hatte der Begleitbrief zum ersten Band, hatte die Widmung etwas geradezu Unterwurfiges, zumal im Schlussatz: „Ich kusse die heilige Hand, die mir und dem ganzen deutschen Volke den Weg zum Himmelreich gezeigt hat“ (HSA 20, S. 46). Aber zum einen war zu dieser Zeit das Ohr vom hofisch-amtlichen devoten Stil her noch einiges gewohnt, andererseits sollte man Goethes Empfindlichkeit gegen Schmeicheleien nicht uberschatzen. Nein, die Kargheit der Goetheschen Tagebuchnotiz mus andere Grunde haben. |