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Reinhard Pabst hat 1997 bei Kleist-Forschern einiges Aufsehen erregt mit einem Artikel in der frankfurter Allgemeinen 2eitung‹, der dankenswerterweise auf bislang unbekannte Kleist-Materialien im Munchener Max-Planck-Institut fur Psychiatrie aufmerksam machte.1 Die von Pabst geweckten Hoffnungen, diese Materialien konnten Licht auf ungeklarte Abschnitte in Kleists Leben werfen, vor allem auf die sogenannte »Wurzburger Reise« im Herbst des Jahres 1800, haben sich freilich nicht erfullt. Wie ich bei einer intensiven Sichtung der Munchener Bestande2 am 5. Mai 1997 feststellen konnte, galt das Interesse der damaligen Forscher gar nicht so sehr Kleist selbst als vielmehr seinen zahlreichen Verwandten, denen neun voluminose Stammtafeln gewidmet sind; denn es ging darum, die Verwandtschaft genialer Menschen auf Anzeichen psychischer Erkrankungen zu uberprufen. Fur Kleist selbst begnugte man sich, fast ganzlich zuruckgreifend auf Isidor Sadgers Buch von 1909 (›Heinrich von Kleist. Eine pathographisch-psychologische Studie‹), mit folgender »Diagnose«: »nicht geisteskrank, schizoider Psychopath mit viel hysterischen Zugen. Suizid. Sexuell pervers, Sadist, Masochist«.3 Eine schwere hereditare Belastung Kleists von Seiten beider Elternteile wurde eilfertig abgeleitet a) aus dem Selbstmord des 19jahrigen Cousins Carl Otto Philipp von Pannwitz (Sohn des Bruders der Mutter) im Jahre 1795, verubt — nach einer Mitteilung Ernst von Schonfeldts aus dem Jahre 1904 — »infolge hochgradiger Schwermut« (LS 6), b) aus dem angeblichen Altersschwachsinn seiner Halbschwester Ulrike4 (wobei im letzteren Fall wohl wenigstens zu fragen gewesen ware, ob Ulrike von seiten ihres — und Heinrichs — Vater oder aber von seiten ihrer — und nicht Heinrichs — Mutter ›belastet‹ gewesen sein konnte). — Fur Kleist selbst enthalt das Material nichts Neues, auch nicht hinsichtlich der »Wurzburger Reise«. |