Schwachsinnig und abartig? Wahrgenommene Stigmatisierung und tatsächliche Etikettierungseffekte der alten und modernisierten Eingangsmerkmale in § 20 Strafgesetzbuch (StGB)

Autor: L. A. Sroka, R. Imhoff, S. Ruckelshaußen, S. Gerhards, J. Kirsch, D. Rösch
Rok vydání: 2020
Předmět:
Zdroj: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie. 15:159-168
ISSN: 1862-7080
1862-7072
DOI: 10.1007/s11757-020-00640-x
Popis: ZusammenfassungBei der Beurteilung der Schuldfähigkeit eines Beschuldigten nach §§ 20, 21 StGB muss zunächst beurteilt werden, ob ein Eingangsmerkmal vorliegt, das verminderte oder reduzierte Schuldfähigkeit bedingen könnte, sowie ob dieses Eingangsmerkmal den Beschuldigten hinreichend in Einsichts- und/oder Steuerungsfähigkeit beeinflusst. Die bislang geltenden Eingangsmerkmale sind z. T. als veraltet und stigmatisierend kritisiert worden – insbesondere die der schweren anderen seelischen Abartigkeit und des Schwachsinns –, sodass im Jahr 2019 ein Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vorgelegt wurde, das eine Modernisierung der Begriffe beinhaltet. Die vorliegende Studie überprüft erstmals, ob die verschiedenen Begriffe (Intelligenzminderung vs. Schwachsinn; seelische Störung vs. seelische Abartigkeit) als unterschiedlich stigmatisierend wahrgenommen werden und zu unterschiedlicher Personenwahrnehmung führen. Zu diesem Zweck füllten 208 Personen, darunter rechtspsychologische Laien (n = 131) und Personen mit Vorwissen (n = 77), Onlinefragebogen aus, in denen sie sowohl anhand von Fallvignetten u. a. Schuldfähigkeit, Gefährlichkeit und Einsichtsfähigkeit von Personen einschätzen mussten als auch die unterschiedlichen Eingangsmerkmale direkt beurteilten. Die Ergebnisse zeigen, dass die überarbeiteten Begriffe als signifikant juristisch angemessener, positiver konnotiert, weniger stigmatisierend und weniger abwertend eingestuft werden. Auch bei einer qualitativen Untersuchung von Assoziationen der Probanden zu den jeweiligen Begriffen zeigten sich deutlich negativere Konnotationen der alten Begriffe. Gleichzeitig zeigte sich jedoch, dass sich die Bewertung von Individuen, die jeweils mit diesen Begriffen betitelt wurden, nicht unterschied, auch nicht bei rechtspsychologischen Laien. Sowohl rechtspsychologische Laien als auch Personen mit Vorwissen haben demnach zwar eindeutige Ansichten zu den vorliegenden Begriffen, diese wirken sich jedoch nicht signifikant auf ihre Personenwahrnehmung aus.
Databáze: OpenAIRE