Fischpopulationen unter Stress – das Beispiel des Unteren Neckars

Autor: Henner Hollert, A. Brauns, P. Schwartz, Susanne Keiter, Thomas Braunbeck
Rok vydání: 2009
Předmět:
Zdroj: Environmental Sciences Europe. 21:197-211
ISSN: 2190-4715
2190-4707
DOI: 10.1007/s12302-009-0044-6
Popis: Hintergrund und Ziel Berichte uber Fischruckgange bzw. Fischpopulationen mit ungewohnlicher Populationszusammensetzung in zahlreichen Flusssystemen in Europa und Nordamerika stehen in scharfem Kontrast zu Analysen der Gewassergute, die fur die letzten Jahre eindeutig eine Verbesserung belegen. Als ehemals recht stark kontaminierter Fluss in Suddeutschland erfuhr auch der Neckar uber viele Jahre eine kontinuierliche, deutliche Verbesserung seines okologischen Zustands. Dennoch sind gerade am Unteren Neckar Defizite in den Fischbestanden zu beobachten, die mit konventionellen chemisch-analytischen, hydromorphologischen und limnologischen Methoden nicht erklart werden konnen. Aus diesem Grund wurden uber einen Zeitraum von mehreren Jahren okotoxikologische Untersuchungen am Unteren Neckar durchgefuhrt, die sich zunehmend auf Schwebstoffe und Sedimente als Reservoire fur Schadstoffe konzentrierten. Parallel zu direkten Untersuchungen zur Toxizitat der Sedimente wurden Fische aus dem Unteren Neckar wiederholt hinsichtlich spezifischer Endpunkte wie Gentoxizitat, mutagener Veranderungen sowie histo- und cytopathologischer Veranderungen in zentralen Monitororganen untersucht, um Hinweise auf Mechanismen zu finden, die den Defiziten in der Zusammensetzung der Fischpopulationen zugrunde liegen konnten. Material und Methoden Rotaugen (Rutilus rutilus) und Grundlinge (Gobio gobio) aus dem Unteren Neckar wurden hinsichtlich histo- und cytopathologischer Veranderungen in der Leber sowie der Induktion gentoxischer Effekte in Leber-, Darm-, Kiemen- und Blutzellen mit Hilfe von Comet- und Mikrokern-Assay untersucht. Parallel wurden Sedimente aus Aue-ahnlichen Randbereichen am Unteren Neckar in nativem Zustand sowie nach acetonischer Extraktion auf teratogene Wirkungen im Fischembryotest mit dem Zebrabarbling (Danio rerio) gepruft. Als Erganzung wurden die Sedimente schlieslich hinsichtlich ihrer (cyto-)toxischen Wirkung auf permanente Fischzelllinien untersucht. Ergebnisse Massive Storungen der Ultrastruktur der Leber zeigen eine starke Stresssituation der Fische im Unteren Neckar (trotz guter Nahrstoffversorgung) an. Sowohl Cyto- als auch Fischembryotoxizitatstests dokumentieren eine erhebliche Toxizitat der Sedimente vom Unteren Neckar, und die Befunde von Comet- und Mikrokernassay belegen nicht nur ein deutliches gentoxisches Belastungspotenzial der Sedimente, sondern auch direkte gentoxische Wirkungen in Fischen. Ein Ruckgang der gentoxischen Effekte in Fischen seit dem Jahr 1998 konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Diskussion Cytopathologie, allgemeine Cyto- und Embryotoxizitat, Teratogenitat und Gentoxizitat im Unteren Neckar erganzen sich zu einem Syndrom, das bei der Interpretation von Artenfehlbetragen in der Zusammensetzung der Fischfauna zu berucksichtigen ist. Im Vergleich mit Weight-of-Evidence-Studien an anderen groseren suddeutschen Fliesgewassern zeigt der Neckar ein relativ hohes embryotoxisches, aber ein nur moderates gentoxisches Schadigungspotenzial. Schlussfolgerungen Die Sedimente am Unteren Neckar weisen ein erhebliches okotoxikologisches Schadigungspotenzial auf, das sich im Zustand der nativen Fischpopulationen widerspiegelt. Ein Beitrag einer Belastung durch chemische Stoffe zum Phanomen „Fischruckgang“ in Fliesgewassern ist nicht auszuschliesen. Empfehlungen und Perspektiven Die in den letzten Jahrzehnten erreichte Verbesserung des okologischen Zustands von Gewassern darf nicht als Argument fur ein Aussetzen regelmasiger biologischer Untersuchungen herangezogen werden. Fortgesetzte Umweltbeobachtung und kontinuierliches Monitoring sind weiterhin unabdingbar. Fur eine angemessene Bewertung subletaler und/oder spezifischer biologischer Effekte in Organismen ist deren Populationsrelevanz zu klaren. Zur Identifikation der chemischen Grundlage fur die beobachteten biologischen Wirkungen bieten sich integrierte Ansatze wie etwa Effekt-dirigierte Analyse an.
Databáze: OpenAIRE