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2017 begann das eindrucksvolle Unternehmen einer historisch-kritischen Werkausgabe der Schriften Uwe Johnsons mit dem 1959 erschienenen Roman Mutmassungen über Jakob. Auch wenn 3 Jahre nach der Druckausgabe eine digitale Version zur Verfügung stehen wird,1 ist sie philologisch eher klassisch-traditionell strukturiert (was zur online-Präsentation kein Widerspruch ist, vergegenwärtigt man sich den rasanten Einzug der Digital Humanities in die klassische Philologie). Ungewöhnlich ist die Tatsache, dass einem Werk aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine solche Würdigung erfährt. Die nun kurz hintereinander erschienenen Bände 4 und 5 edieren weitere Werke aus Johnsons ,,Frühzeit“, wie bisweilen, eher abwertend, formuliert wird. Karsch, und andere Prosa mag vielleicht noch als Titel in der literarischen Öffentlichkeit oder wenigstens in der universitären Literaturwissenschaft präsent sein, Zwei Ansichten sind auch das nicht einmal mehr, nicht einmal in der aktuellen germanistischen Diskussion.2 Dies mag auch daran liegen, dass Johnson in der Diskussion noch immer weitgehend auf sein Hauptwerk festgeschrieben ist. Zwei Ansichten ist vielleicht das Werk Johnsons, welches am wenigsten Anerkennung fand, unverstanden auch in den Jahren nach seinem Erscheinen blieb.3 Stärker als die anderen Romane und Erzählungen der Jahre zwischen 1959 und 1965 thematisiert Zwei Ansichten die Realitäten, auch mentalen, beider Deutschland in der ersten Phase nach dem Mauerbau. Dass Christa Wolfs Der geteilte Himmel (1963), der sich ja kaum ohne Bezüge zu den Mutmassungen lesen lässt, in der BRD wohlwollendere Aufnahme fand, mag daran liegen, dass man in der BRD Johnson Sympathien für die DDR unterstellte, Wolfs Roman jedoch unverständlicherweise als Werk einer Dissidentin lesen wollte. Werke von Dissidenten, Kritik an der DDR wollte ein breiteres Publikum hören, aber keine Versuche, die doppelte deutsche Realität literarisch zu erfassen.4 Dass die Jahrestage, ebenfalls zunächst heftiger Kritik und wohl beabsichtigtem Unverständnis ausgesetzt, inzwischen zu einem, vielleicht dem Jahrhundertroman zu zählen sind, ist heute kaum mehr bestreitbar. Was zunächst von dem einen oder anderen als formale und vor allem sprachliche Extravaganzen aufgefasst wurde, ist vielleicht der tiefere Grund, warum dieses Werk 50 Jahre nach seinem Erscheinen noch immer den Leser packt, vor Frische und Klarheit, so möchte man fast formulieren, nur so strotzt. Wer sich, vielleicht ohne jahrzehntelang mehr einen Blick hineingeworfen zu haben, heute diesem Text nähert, wird erstaunt sein, wie sehr auch Zwei Ansichten, das doch so stark an die so fernliegenden Zeiten – und Mentalitäten – gebunden ist, ebenfalls den Leser zu packen versteht, gerade in der so stark kritisierten Sprachform, dass er sich bisweilen mitgerissen fühlt. |