Kirjalikud teated eesti libahundipärimuse kohta kuni 20. sajandini alguseni / Schriftliche Überlieferungen zum Werwolfsglauben in Estland bis Anfang des 20. Jahrhunderts

Autor: Tiina Vähi
Jazyk: němčina
Rok vydání: 2011
Předmět:
Zdroj: Õpetatud Eesti Seltsi Aastaraamat/Yearbook of the Learned Estonian Society, Vol 2010, Pp 242-266 (2011)
ISSN: 1406-8486
Popis: Die Geisteshaltung bei der Beschreibung des Werwolfglaubens ist seit Herodot (484-425 vor Chr.) durch das Mittelalter bis zur Frühen Neuzeit relativ unverändert geblieben. Ein Merkmal der Kolonialliteratur ist der Ethnozentrismus bei der Darstellung von in der Peripherie lebenden Heiden bis hin zu deren Dämonisierung. Sebastian Münster (1489-1552) schrieb im fünften Band seines Werkes Cosmographey. Oder Beschreibung Aller Länder. (1544), dass es in Livland zahlreiche Hexen und Werwölfe gebe und Olaus Magnus schrieb in seinem Buch Historia de Gentibus Septentrionalibus (1555), dass Werwölfe in Livland mehr Schaden anrichteten als gewöhnliche Wölfe. Ein schreckenerregendes Bild von Übeltaten von Wölfen oder von in Werwölfe verwandelten Räubern malt der Jesuit Antonio Possevino (1533-1611), Gesandter des Papstes, in seinem Brief an die Herzogin von Mantua (verfasst in Tartu am 9. August 1585). Gegen Ende des Mittelalters erhielt die Tierwandlung, besonders die Verwandlung in einen Wolf, eine äußerst negative Bedeutung, sie wurde mit Lykanthropie in Verbindung gebracht. In einem Abschnitt von Balthasar Russows Chronica der Provintz Lyfflandt (1584), der die mehrwöchige Belagerung der Burg Toolse durch die Schweden 1574 während des Livländischen Krieges beschreibt, heißt es, dass die russischen Verteidiger den Belagerern jeden Abend als heulende Wolfsherde erschienen und die Angreifer so einschüchterten.Auch die aufgeklärten Gelehrten des 18. und beginnenden 19. Jahrhunderts kamen nicht gänzlich von den Konzepten der Vergangenheit los, ein „Werwolf“ drückte den Unglauben des Volkes aus, der von der Ungebildetheit des Volkes herrührte. August Wilhelm Hupel (1737-1819), der in der estnischen Kulturgeschichte als Sammler von Daten zur Geographie, Ethnographie und Bevölkerung Liv- und Estlands geschätzt wird, behandelte im sechsten Teil seines Werkes Nordische Miscellen (1781-1791) den Werwolfglauben, wobei er sich auf frühere von Olaus Magnus und Jacob Grimm veröffentlichte Überlieferungen bezog. Friedrich Reinhold Kreutzwald, der überragende Vertreter der estnischen Volksdichtung und Carl Robert Jakobson, ein Aktivist in der Zeit des nationalen Erwachens, schoben die mentale Verantwortung dafür, dass das Volk den Werwolf als negatives Wesen empfand, den Deutschen zu, und hielten ihn für eine von den Deutschen eingeführte Überlieferung. Der deutschbaltische Historiker und Ethnograph Carl Friedrich Wihelm Russwurm (1812-1883) dagegen betonte weniger die Frage nach der Herkunft des Werwolfglaubens, sondern stellte vielmehr die Tatsache fest, dass dieser Glauben zu den Esten gehört. Der Sprachforscher Ferdinand Johann Wiedemann (1805-1887) schrieb als Nebenwerk seines eigentlichen Fachgebiets das Buch Aus dem inneren und äusseren Leben der Ehsten (1876), in dem er neue Erkenntnisse über Werwölfe veröffentlichte, die von früheren Autoren noch nicht erwähnt worden waren. Die deutschbaltischen Schriftsteller publizierten interessante Überlieferungen, beschrieben diese unparteiisch und gaben meistens kein moralisches Urteil ab. Die meisten der estnischen, national gesinnten Schriftsteller und Sammler von Volksdichtung hingegen, allen voran Jakob Hurt (1839-1907), ließen sich von der Bewegung der Bewahrung und Aufrechterhaltung der estnischen Volkskultur derart mitreißen, dass sie nicht die Zeit, aber vielleicht auch nicht den Willen hatten, dem Werwolf ihre Aufmerksamkeit zu schenken und ein moralisches Urteil zu fällen. Negative Vorstellungen des Volksglaubens waren damals nicht aktuell, da sie nicht die positiven Werte und Ideen der Volksdichtung ausdrückten, die man zum Aufbau der nationalen Identität hätte nutzen können.
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