Die „schwer erziehbaren Kinder“ benötigten dringend einen Arzt – verbandspolitische Vorgeschichte der Einführung des Facharzttitels für Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland 1968

Autor: Schepker, Klaus, Harsch, Daniela, Fegert, Jörg M.
Zdroj: Zeitschrift für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie; 20240101, Issue: Preprints p1-10, 10p
Abstrakt: Zusammenfassung.In den Jahren nach 1945 war die entstehende Kinder- und Jugendpsychiatrie in Deutschland noch nicht eigenständig, sondern personell und organisatorisch Teil der gesamten Nervenheilkunde. Das vorrangige fachpolitische Ziel deren führender Vertreter aus der (Erwachsenen-)Psychiatrie war der Erhalt des „Machtbereiches“ der gesamten Nervenheilkunde als Einheit von Neurologie und Psychiatrie. Interessen von „kleinen Psycho-Fächern“ wie der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychotherapie wurden dabei als nachrangig betrachtet. Als Perspektive für diese Fächer wurden primär Zusatzqualifikationen und Zusatzbezeichnungen zum Facharzt Nervenheilkunde erwogen. In vielen Industrienationen erfolgte ein Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie um besser mit den „Schwierigkeiten“ umzugehen, die „schwierige Kinder haben und machen“. Bedingt durch Säuberung und Gleichschaltung des Fürsorge- und Gesundheitswesens im Nationalsozialismus und die Kriegsfolgen erfolgte der Ausbau der kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgung in der Bundesrepublik unter besonderen Rahmenbedingungen und es fehlten (Fach-)Ärzte für diese „soziale Aufgabe“. Interessenskonflikte führender Jugendpsychiater als Repräsentanten der gesamten Nervenheilkunde hemmten eine eigenständige Entwicklung. Erst nachdem die Kernfrage der Trennung von Neurologie und Psychiatrie durch den Kompromiss der Einführung von drei Facharzttiteln (Psychiatrie, Neurologie, Nervenheilkunde) gelöst wurde, wurde auf dem Ärztetag 1968 die Einführung der Gebietsbezeichnung Kinder- und Jugendpsychiatrie beschlossen.
Databáze: Supplemental Index