Überbrückungsleistungen für EU-Bürger-/-innen in Deutschland: Instrument sozialer Absicherung oder Migrationskontrolle?

Autor: Bruzelius, Cecilia, Ratzmann, Nora, Reiß, Lea
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Zdroj: Zeitschrift für Sozialreform; 2022, Vol. 68 Issue 3/4, p237-266, 30p
Abstrakt: Der Artikel analysiert die sogenannten Überbrückungsleistungen (nach § 23 Abs. 3 SGB XII), welche in Deutschland lebende mittellose EU-Bürger/-innen, die keinen Rechtsanspruch auf Grundsicherung für Arbeitssuchende oder Sozialhilfe haben, für einen begrenzten Zeitraum als Übergangsgeld erhalten können. Die Leistung soll dieser Personengruppe eine minimale soziale Unterstützung für einen begrenzten Zeitraum, vornehmlich bis zur Ausreise aus Deutschland, bieten. Der Artikel analysiert die Umsetzung dieser Leistungen. Ziel ist ein Abgleich zwischen Intentionen des Gesetzgebers und gelebter Praxis sowie eine Diskussion der sozialpolitischen Folgen für Leistungsbezieher/-innen, die unter anderem durch die Verschränkung von Sozial- und EU-Freizügigkeitsrecht entstehen. Neben einem Überblick über die Gesetzlage und deren politischen Hintergrund gewährt der Artikel daher Einblicke in die Gewährungspraxis und Inanspruchnahme der Leistung. Die Ergebnisse der hierfür durchgeführten qualitativen Erhebung offenbaren unterschiedliche Praktiken und Umsetzungsdefizite, die auf einen Mangel an praktischen Erfahrungen, Rechtsunsicherheiten sowie bürokratische Hürden in der Antragsstellung zurückzuführen sind. Insgesamt kommt der Artikel zu dem Schluss, dass Überbrückungsleistungen, wie bereits im Gesetz angelegt, keine soziale Mindestabsicherung mittelloser EU-Bürger/-innen darstellen, auch wenn sie gelegentlich zur Überbrückung einer finanziellen beziehungsweise sozialen Notlage beitragen. Ferner wird durch die oft restriktive Umsetzungspraxis die Prekarisierung der Zielgruppe verstärkt, sodass Überbrückungsleistungen de facto eine Verschränkung von Sozialleistungsbezug und Migrationssteuerung darstellen und als Instrument der Migrationskontrolle im freizügigen Europa gewertet werden können. This article provides an overview of the politics, law and practice behind the so-called transitional assistance which foreigners living in Germany who have no legal entitlement to regular social assistance can receive for a limited period of time. This newly introduced benefit is meant to offer temporary economic support until they leave Germany. However, little is known about its implementation since its introduction in December 2016. This article provides an overview of the political and legal background of the law and draws on a smallscale qualitative study to provide first insights into benefit uptake and implementation. The findings indicate a very wide variation in implementation, and legal and bureaucratic hurdles to access benefits. Moreover, the study demonstrates that transitional assistance is intentionally too low to guarantee minimum social support and that it has become a new means of migration control within free movement Europe. [ABSTRACT FROM AUTHOR]
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