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Mit der Gründung des Instituts für Bildungsforschung begann 1963 in West-Berlin die Geschichte der Sozialwissenschaften in der Max-Planck-Gesellschaft (MPG). 1958 hatte Hellmut Becker der MPG die Einrichtung des später so genannten Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung (MPIB) informell vorgeschlagen, 1981 wurde er als Direktor des MPIB emeritiert. Rekonstruiert wird im vorliegenden Preprint die Institutsgeschichte der Ära Becker und des damals entworfenen Typus‘ einer interdisziplinären Sozialwissenschaft im Kontext der Geschichte der MPG: der Debatten um die Gründung und Entwicklung des Instituts, der Führungszirkel und der Governancestruktur der Forschungsgesellschaft. Kontur gewinnt die Institutsgeschichte unter Becker besonders über ihren engen Zusammenhang mit dem 1970 unter Leitung Carl Friedrich von Weizsäckers in Starnberg eröffneten Max-Planck-Institut zur Erforschung der Lebensbedingungen der wissenschaftlich-technischen Welt. Leitend ist die These eines an beiden Instituten strukturähnlich verfolgten ‚Doppelansatzes‘, gerichtet auf die komplementäre Bearbeitung der Herausforderungen einer wissenschaftlich-technisch bestimmten Welt, der in der MPG temporär einen Ort erhielt. Näher untersucht wird im Preprint die Genese der Konzeption der Bildungsforschung und wie es zwischen 1958 und 1963 überhaupt gelang, den interdisziplinären, explizit politikorientierten Ansatz in der Gesellschaft der Grundlagenforschung zu etablieren. Wie gezeigt wird, war dabei die Protektion von Führungspersonen in der MPG, Wirtschaftsvertretern im Verwaltungsrat und besonders Präsident Adolf Butenandt, maßgeblich. Verfolgt wird, wie sich die Bildungsforschung in engster Verflechtung mit zeitgenössischen bildungs-/politischen Entwicklungen, wie der Arbeit des Deutschen Bildungsrats und der „Studentenbewegung“, praktisch entfaltete und zunehmend in ein links-liberales politisches Spektrum schob. Schließlich wird die in den 70er Jahren beobachtbare Transformation der am Institut betriebenen Bildungsforschung in Richtung auf eine redisziplinierte empirische Sozialforschung rekonstruiert, die als entpolitisiert/nicht-ideologisch und leistungsstark ausgeflaggt war. Treiber dieser Transformation war eine massive Kritik am MPIB und der dortigen Bildungsforschung (wie an Starnberger Ansätzen) durch Vertreter*innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft und ebenso durch den seit 1972 amtierenden Präsidenten der MPG, Reimar Lüst, unter dem die Transformation über ein stärker zentralisiertes, neues Management-Regime der MPG umgesetzt und forciert wurde. Als Becker 1981 emeritiert wurde und im gleichen Jahr der Beschluss zur Schließung des Starnberger Instituts erfolgte, gelangte die erste Phase eines spezifischen, politisch orientierten Typus‘ von Sozialforschung in der MPG an ihr Ende. Auch da die Kritik an der Bildungsforschung und an Starnberger Ansätzen im Preprint in weiten Teilen als Aspekt einer konservativen „Tendenzwende“ gedeutet wird, die sich in Westdeutschland seit Ende der 1960er Jahre vielschichtig zu formieren begann, wird die hier vorgestellte Wissenschaftsgeschichte als integraler Bestandteil der bildungs-/politischen, sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen der Bundesrepublik entworfen. |